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Seite zuletzt geändert am: 19. Juni 2015

Politische Bildung    

Ein Beitrag zur Geschichte, Theorieansätzen, Funktionen, Didaktik und einem Handlungsfeld    

Günther Dichatschek


Inhaltsverzeichnis dieser Seite
Politische Bildung   
Ein Beitrag zur Geschichte, Theorieansätzen, Funktionen, Didaktik und einem Handlungsfeld   
Vorbemerkungen   
Teil I   
1 Einführung in die Geschichte der Politischen Bildung an Schulen   
1.1 Deutschland   
1.2 Österreich   
2 Theorieansätze einer Politischen Bildung   
2.1 Partnerschaftsmodell - Oetinger   
2.2 Kritik   
2.3 Konflikttheorie - Dahrendorf   
2.4 Paradigmenwechsel - Fischer-Giesecke   
2.5 Kritisch-emanzipatorische Politische Bildung   
2.5 Erziehung zur Demokratie - Schausberger   
2.6 Fach vs. Unterrichtsprinzip - Heintel   
2.7 Gesellschaftliche Veränderungen - Politische Bildung als Leitidee   
2.7.1 Anforderungen ab den siebziger Jahren   
2.7.2 Pädagogik einer Demokratisierung   
2.7.3 Positivismusstreit   
2.7.4 Didaktische Impulse   
2.7.5 Politische Bildung in der Erwachsenen- bzw. Weiterbildung   
2.7.6 Erweiterte Themenbereiche   
3 Gesellschaftliche Funktionen   
4 Didaktik der Politischen Bildung   
4.1 Aufgaben einer Didaktik   
4.1.1 Wissensbereiche   
4.1.2 Fachdidaktik   
4.1.3 Bildungseffekt   
4.1.4 Lernziele   
4.1.5 Politisches Bewusstsein   
4.1.6 Fachspezifische Didaktik   
4.1.7 Kommunikation   
4.1.8 Lehrende als Medium   
4.1.9 Transformation   
4.2 Lerngegenstände - Inhaltsstruktur   
4.2.1 Institutionenkunde - Fallprinzip   
4.2.2 Beschaffenheit der Lerngegenstände   
4.2.3 Bezugsrahmen   
4.2.4 Lernweg als didaktische Aufgabe   
4.2.5 Arten der Inhaltsstruktur   
4.2.5.1 Begriff   
4.2.5.2 Fall   
4.2.5.3 Situation   
4.2.5.4 Problem   
4.2.5.5 Mikro- und Makrowelt   
4.3 Inhaltsauswahl   
4.3.1 Auswahlprozesse   
4.3.2 Auswahlverfahren   
4.4 Denken oder Handeln als Lernprozesse - Ziele eines Unterrichts   
4.4.1 Denken und Handeln - Einführung   
4.4.2 Lernzielarten/Strukturelles Lernen   
4.4.3 Kategorien/Schlüsselbegriffe   
4.4.4 Operationen   
4.4.5 Schemata   
4.5 Kognitive Lerntheorie in der Politischen Bildung   
4.5.1 Kognitive Struktur   
4.5.2 Theoretische Ansätze   
4.5.3 Umsetzbarkeit im Unterricht/Lehre   
4.5.4 Lernaufgaben der kognitiven Komplexität   
4.5.1 Fundamentale Probleme   
4.5.2 Kontroverses Denken   
4.5.3 Problemlösungsfähigkeit   
4.6 Werte als Lernprozesse - Ziele eines Unterrichts   
4.6.1 Sinn und Grenzen einer Wertorientierung   
4.6.1.1 Lehr- und Studienpläne   
4.6.1.2 Parteinahme und Parteilichkeit vs. Indoktrination   
4.6.1.3 Oberste Ziele eines Unterrichts/der Lehre   
4.6.2 Merkmale eines wertbezogenen politischen Verhaltens   
4.6.2.1 Richtigkeit von Werten   
4.6.2.2 Struktur des moralischen Urteils   
4.6.2.3 Demokratische Verhaltensweisen   
4.6.2.4 Grundwerte - Leitideen   
4.7 Legitimierung von Zielen und Inhalten   
4.7.1 Politische Legitimation   
4.7.2 Legitimation in der Pädagogik   
4.7.3 Legitimation durch gesellschaftlichen Konsens   
4.7.4 Legitimation durch Kommunikation   
4.7.5 Diskursprinzip   
5 Reflexion   
5.1 Perspektiven   
5.1.1 Politische Bildung international   
5.1.2 Funktionen der Politischen Bildung   
5.1.3 Kriterien einer Politischen Bildung   
5.2 Bildungsbereiche   
5.2.1 Lernfelder   
5.2.2 Politische Institutionen - Politikformen   
5.2.3 Herausforderungen für Politische Bildung   
Literaturhinweise Teil I   
Teil II   
Beitrag der Vorberuflichen Bildung/Erziehung im Kontext Politischer Bildung/Erziehung   
Einleitung   
1 Vorberufliche Bildung/Erziehung - Berufsorientierung   
1.1 Schulische Berufsorientierung   
1.2 Lehrerbildung in der APS   
1.3 Lehrerbildung in der AHS   
2 Vorberufliche Bildung - Universität   
3 Vorberufliche Bildung durch das AMS   
3.1 Themen und Inhalte   
3.2 Zielsetzungen und Zielgruppen   
3.3 Veranstaltungsformen   
3.4 Schriften zur Berufswahl   
3.5 Kooperationsformen in der Jugendberatung   
4 Studienberatung   
5 Berufsinformationszentren (BIZ) - Jugend-, Maturanten- und Studienberatung des AMS und der Wirtschaftskammern/WIFI   
6 Berufswahl benachteiligter Jugendlicher   
6.1 Benachteilungsaspekte von Mädchen   
6.1.1 Aspekte eines Berufsfindungsprozesses von Mädchen   
6.1.2 Lehrplanarbeit für beide Geschlechter   
6.1.3 Ansätze für eine veränderte schulische Berufsorientierung   
6.1.4 Zusammenfassung   
6.2 Benachteiligungsaspekte von ausländischen Jugendlichen   
7 Teilbereiche vorberuflicher Bildung   
7.1 Duale Ausbildung - Lehrlingswesen   
7.1.1 Grundsätzliches zum Lehrlingswesen   
7.1.2 Tiroler AK-Studie 2004: Berufsverbleib von Lehrlingen   
7.2 Umwelterziehung   
7.3 Politische Bildung   
7.3.1 Heranwachsende in ihrer persönlichen Berufsentscheidung   
7.3.2 Heranwachsende als Auszubildende und Arbeitnehmer   
7.3.3 Heranwachsende in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung   
8 Zusammenfassung - Reflexion   
Literaturhinweise Teil II   
Internethinweise/Auswahl   


Vorbemerkungen    

Politische Bildung hat die Aufgabe, die Menschen zu befähigen,

Im Beitrag wird beispielhaft auf Vorberufliche Bildung im Rahmen der Politischen Bildung eingegangen(vgl. DICHATSCHEK 2015).

Ziel einer Politischen Bildung ist

Voraussetzung für demokratisches Engagement ist das Bewusstmachen der Zusammenhänge zwischen individuellem Schicksal, gesellschaftlichen Prozessen und Strukturen.

Politisches Bewusstsein bildet sich im Erkennen der eigenen Interessen und im Erfahren der gesellschaftlichen Konflikte und der Herrschaftsverhältnisse. Der politisch bewusste und aufgeklärte Mensch soll nicht erleidendes Objekt der Politik sein, sondern als Subjekt in die Politik eingreifen(vgl. DRECHLSER-HILLIGEN-NEUMANN, München 1995, VII).

Wesentliche Aspekte theoretischer und praktischer Ansätze einer Politischen Bildung bedürfen zum besseren Verständnis

Teil I    

1 Einführung in die Geschichte der Politischen Bildung an Schulen    

1.1 Deutschland    

Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war ein großer Teil der deutschen Jugend trotz Marschierens und politischer Unruhen unpolitisch.

Nach Kriegsende fiel dies den USA auf und so setzten bald auf ihre Initiative hin Bestrebungen und Versuche zu einer Erziehung zur Demokratie' ein(vgl. BORCHERDING 1965, zit. nach DACHS 1978, 48-56). Außer praktischen Maßnahmen wie einer Entnazifizierung der Lehrerschaft und Wiedereröffnung der Schulen und Universitäten sollte besonders das Bildungswesen nach den Vorstellungen des US-Demokratieverständnisses gestaltet werden.

Im Zuge dieser in Deutschland praktizierten re-education kam man in den folgenden Jahren zu der Einsicht, dass "[...]Politische Bildung - in welcher Form auch immer - zu den Aufgaben der Schule gehört"(SCHMIEDERER 1972, 19).

Besonders OETINGER, SCHMIEDERER, HILLINGEN, ELLWEIN, FISCHER, HERRMANN, MAHRENHOLZ und GIESECKE beschäftigten sich mit Problemen dieses neuen Fachbereiches(vgl. im Folgenden die jeweiligen Theorieansätze und ihre Bedeutung für die Didaktik).

1.2 Österreich    

Anders als in Deutschland waren die Voraussetzungen und die Lage in Österreich.

1946 war in "Bürgerkunde" der 8. Klasse des Gymnasiums im Fach "Geschichte" als Bildungsziel "[...]die Erziehung der Jugend zu bewußten Republikanern und zu treuen Bekennern des österreichischen Volksstaates..." angegeben(vgl. PROVOSORISCHE LEHRPLÄNE FÜR DIE MITTELSCHULEN, Wien 1946, 85).

1949 wurden mit dem "Erlaß zur Staatsbürgerlichen Erziehung" die Grundlagen der damaligen politischen Zielvorstellungen wie Freiheit, Unabhängigkeit und Wiederaufbau geschaffen.

In der Folge haben sich die Einstellung Heranwachsender zu Gesellschaft und Staat massiv geändert. Neben der Frage nach dem Nutzen des Staates gibt es eine fragende und kritische Haltung, womit Politische Bildung aktuelles Anliegen wurde.

Erst 1955 wurden die "Mittelschullehrpläne" geändert und der Begriff Staatsbürgerkunde eingeführt. Mit den zwei Aufgaben einer Erziehung zu österreichischem Heimat- und Kulturbewusstsein und treuem und tüchtigem republikanischem Staatsbürgertum wurden die Bildungsziele umschrieben.

Die Folge einer solchen Erziehungsaufgabe der Schule in Österreich war dann konsequenterweise der § 2 Schulorganisationsgesetz 1962, der bis heute gesetzliche Grundlage für eine politische Erziehung in Österreich ist(vgl. BGBL. vom 25. Juli 1962 über die SCHULORGANISATION). Eine entscheidende Rolle für diese Bemühungen spielt die Erkenntnis um die Konflikte in der Ersten Republik und der Nationalsozialismus. Der Politikbegriff orientiert sich demnach am Soll-Zustand und verstärkt die Ausgleichsfunktion/Konsens in der Politik. Gesinnungs- und Charakterbildung werden besonders betont und sollten Ziel der Unterrichtsbemühungen sein.

So wird in der Staatsbürgerkunde/Institutionenkunde der formale Staat betont, die Politik wird den Lernenden meist interesselos geboten, das fehlende Engagement erzeugt daher eher eine Apathie im politischen Bereich. Betont wird in der Regel eine Anpassung an die derzeitige Situation, so dass Mitläufertum mit Gleichgültigkeit erzogen wird.

Mit der Einführung der Politischer Bildung Ende der siebziger Jahre ging der Streit um die Durchsetzung partikulärer Einzelinteressen(vgl. PRESSEDIENST DER BUNDESWIRTSCHAFTSKAMMER vom 12.1.1977).

2 Theorieansätze einer Politischen Bildung    

2.1 Partnerschaftsmodell - Oetinger    

Nach den schulgeschichtlich ersten Anstößen zu einer politischen Erziehung nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges fand OETINGER mit seinem Buch "Wendepunkt der politischen Erziehung - Partnerschaft als pädagogische Aufgabe" große Beachtung.

Partnerschaft steht an erster Stelle. Politik ist ein Handlungszusammenhang, in dem "[...]die mitbürgerliche Kooperation im Vordergrund steht"(OETINGER 1956, 81). Politische Bildung hat zu einer Haltung zu erziehen, die die friedensstiftende Funktion der Politik und soziales Handeln begünstigt(OETINGER 1956, 18). Die dazu nötigen Spielregeln kann man einüben. Partnerschaft setzt aber auch Verhältnisse voraus, in denen das "Spielfeld" möglichst unübersichtlich ist.

Nach OETINGER muss Politik also die Massengesellschaft in überschaubare und sinnvoll erlebbare Einheiten gliedern - am besten ist Partnerschaft daher in Familie, Schule, Jugendverbänden und ähnlichen sozialen Gruppierungen zu üben.

2.2 Kritik    

Kritiker dieses Partnerschaftsmodells erhoben allerdings den Einwand, dass OETINGERs Ansatz nur den sozialen, nicht den politischen Bereich berücksichtigt(vgl. ROHLFES 1970, 11-12).

SCHMIEDERER meint, dass diese Konzeption von jener Ebene ablenke, "[...]wo Entscheidungen über das Leben in Staat und Gesellschaft fallen, wo die Auseinandersetzungen um Macht und Herrschaft stattfinden, und von der prinzipiellen Frage nach der Gesellschaftsordnung"(SCHMIEDERER 1972, 31). Dieser Einwand meint, dass die Partnerschaftspädagogik das Machtmotiv verharmlose und ein harmonisierbares Gesellschaftsbild verlange, dass die vorhandene Interessenskonflikte auf die Frage nach einer ordentlichen Gesinnung beschränke.

Ein weiterer Kritikpunkt betraf das Fehlen eines emanzipatorischen Ansatzes. Hier sind LITT, SPRANGER und WEINSTOCK zu nennen - also Vertreter einer traditionellen Pädagogik - , deren Ziel "Erziehung zu Staatsbewusstsein" war, während OETINGERs politische Erziehung eben nicht auf eine solche Erziehung ausgerichtet war.

Für SPRANGER war der Staat "[...]ein Gebilde aus eigener Würde und Hoheit", das als "eine große sittliche Aufgabe" erfasst werden muss(SPRANGER 1963, 38). Nach seiner Ansicht treten in allen politisch-sozialen Strukturzusammenhängen sogenannte "Urverhältnisse" auf, so beispielsweise die Familie mit Urelementen, aus denen einer demokratischer Staat mit parlamentarischer Verfassung errichtet ist. Daher müsse die Heranwachsenen lernen, ihre in Familie und Schule gewonnenen Erfahrungen auf abstraktere Gebiete wie Staat und Gesellschaft zu übertragen(SPRANGER 1963, 12).

SPRANGERs Ansatz wird von Soziologen insofern kritisiert, als die Gleichsetzung von primären und sekundären Sozialgebilden falsch wäre. Die Sozialwissenschaft zeige, dass soziale Intimgruppen wie Familie und Gleichaltrige strukturell nichts mit Großgruppen einer modernen Industriegesellschaft gemein haben. Eine so orientierte Sozialerziehung würde nur zu Orientierungsschwierigkeiten und Fehleinstellungen führen.

Sowohl die Modelle von OETINGER wie auch von SPRANGER zeitigten nach den Untersuchungen von HILLIGEN und ELLWEIN hinsichtlich einer politischen Erziehung an Schulen unbefriedigende Ergebnisse. Laut SCHMIEDERER leistete die bisherige politische Bildung eine Erziehung zur Anpassung.

2.3 Konflikttheorie - Dahrendorf    

Als in den sechziger Jahren die Begriffe "Kontroverse", "Kritik" und "Konflikt" als entscheidende Faktoren einer politischen Urteilsfähigkeit in der didaktischen Diskussion auftraten, kam die von der Konflikttheorie Dahrendorfs beherrschte Gesellschaftsauffassung in den Publikationen von FISCHER, HERRMANN und MAHRENHOLZ zu Wort.

Dieses "HESSISCHE MODELL" wollte die harte politische Wirklichkeit als zentrales Thema eines politischen Unterrichts angesehen wissen, nicht mehr den Begriff Partnerschaft und Mitbürgerbildung.

2.4 Paradigmenwechsel - Fischer-Giesecke    

Vor allem FISCHER entwickelte diese Theorie in seinen folgenden Publikationen weiter und machte damit den Anfang zu einem grundsätzlichen Paradigmenwechsel.

FISCHERs Ansatz wurde in der Folge vor allem von GIESECKE mit seiner "Didaktik der politischen Bildung" fortgesetzt. Auch sein Ansatz basiert auf DAHRENDORFs Konflikttheorie und stellt sich gegen alle Versuche, Gesellschaft und Staat voneinander zu trennen, um diesen zu überhöhen. Für ihn ist Politik "[...]etwas Offenes, Umstrittenes, etwas, was noch zur Entscheidung(steht)"(GIESECKE 1965, 21). Er fordert,

Die Inhalte des Aktionswissens sind also schon im Orientierungswissen enthalten, werden aber auf einen politischen Konflikt hin aktualisiert. In neueren Publikationen hat GIESECKE diese Unterscheidung wegfallen lassen, da sie wohl zu problematisch war und wenig Vorteile brachte.

Für den politisch-pädagogischen Prozess stellt GIESECKE ein System von Kategorien auf, die den politisch-sozialen "Konsenus der ganzen Gesellschaft" widerspiegeln sollen(GIESECKE 1965, 115). Sie müssten in jedem Konflikt enthalten sein, werden im Unterricht als sinnvolle Leitfragen übertragen und sollen zu "politischen Grundeinsichten" führen. Als Kategorien stellt er Konflikt, Konkretheit, Macht, Recht, Funktionszusammenhang, subjektives Interesse, Mitbestimmung, Solidarität, Ideologie, Geschichtlichkeit und Menschenwürde auf.

GIESECKEs Didaktik brachte in der Diskussion über Politische Bildung einen wesentlichen Fortschritt. Die Kritik, die er hervorrief, nahm zwei verschiedene Standpunkte ein.

Vier Aspekte wurden als Einwände gegen diese Konzeption benannt:

GIESECKEs Neuausgabe seiner Didaktik(1976) hat die Einwände der Vertreter der radikal-demokratischen und emanzipatorischen Richtung berücksichtigt. Nunmehr neigt er der kritischen Theorie und dem dort vertretenen Demokratieverständnis zu, dessen Basis die Emanzipation im Sinne der menschlichen Selbstdefinition ist. Lernziel soll daher sein, Kenntnisse zu vermitteln, die die bisher unterprivilegierten Gruppen befähigen, ihre Interessen zu vertreten und durchzusetzen und damit den Demokratisierungsprozess voranzutreiben. "Fundiert und konkretisiert man nun die politische Bildung im Rahmen eines so verstandenen historischen Kontextes von Emanzipation, so folgt daraus unausweichlich ihre politische Parteilichkeit"(GIESECKE 1979, 126). Die Parteilichkeit der Politischen Bildung muss aber an die Verfassung gebunden bleiben, da diese auch einem historischen Demokratisierungsprozess verbunden ist. "Parteilichkeit" bedeutet demnach die in der Verfassung zugestandenen Chancen für die bisher Benachteiligten optimal zu realisieren.

Pädagogisch bedeutet Parteilichkeit, die allgemeinen Lernziele für den politischen Unterricht aus den historisch veränderbar zu interpretierbaren Bestimmungen der Verfassung abzuleiten. Sie haben solche Lernleistungen zu ermöglichen, die für den jeweils vorgebenen sozio-ökonomischen Ausgangsstatus zur optimalen Durchsetzung der in der Verfassung versprochenen Lebensschancen geeignet sind(vgl. GIESECKE 1979, 131).

2.5 Kritisch-emanzipatorische Politische Bildung    

Ende der sechziger Jahre trat eine Konzeption der Politischen Bildung auf, die mit ihren Vertretern wie BECKER, HERKOMMER, TESCHNER, GOTTSCHALCH und SCHMIEDERER von HOLTMANN als "demokratisch-sozialistische Konzeption einer antagonistischen Gesellschaftsauffassung" bezeichnet wurde. Für sie gibt es in den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen Hindernisse, die zur Verwirklichung einer sozialistischen Demokratie für eine Emanzipation des Menschen beseitigt werden müssen. Sie verlangen neben einer institutionalisierten Konfliktlösung die Beseitigung gesellschaftlicher Konfliktursachen und "sehen vor allem in einer sozialwissenschaftlichen bestimmten politischen Bildung eine Chance für Veränderung 'auf der Grundlage und unter Ausschöpfung geltender Verfassungsnormen'(HABERMAS) und einer 'kritischen Theorie der Gesellschaft' "(HOLTMANN, zit. nach SCHMIEDERER 1972, 176). SCHMIEDERER stellt nach einer Untersuchung der Rahmenbedingungen, unter denen politische Bildung in den Schulen gelehrt wird, fest, dass diese Erziehung theoretisch zwei Funktionen haben kann: eine fortschrittliche, in die Zukunft weisende, den bestehenden gesellschaftlichen Zustand transzendierende und eine affirmative, die die bestehenden Herrschaftsfunktionen verteidigt. Sie ist also in ihrer Anlage ambivalent, apologetisch oder kritisch. Nach seiner Ansicht dient politische Bildung derzeit aber überwiegend der Bestätigung der bestehenden Verhältnissen, während er zu der zweiten kritischen Möglichkeit neigt, obwohl er zugibt, dass die Chance, durch Bildung und Erziehung "im öffentlichen Unterricht ein kritisches, auf Veränderung gerichtetes Bewußtsein hervorzuheben, nur gering(ist)"(SCHMIEDERER 1974, 27).

Ziel dieser kritisch-emanzipatorischen Erziehung ist "[...]die Befreiung des Menschen aus gesellschaftlich begründeter Unmündigkeit und Abhängigkeit, ist das Streben nach einer Gesellschaft, die den konkreten Interessen der jeweils lebenden und der zukünftigen Menschen gerechter wird als die bestehende"(SCHMIEDERER 1974, 28). Politische Bildung muss also klar machen, "[...]welche Dinge in der Gesellschaft inhuman und irrational sind"(DACHS 1975, 104). Die Schulung des gesellschaftlichen Bewusstseins ist in Form der Aufklärung der Lernenden über ihre soziale Situation und den Zusammenhang von individueller und gesellschaftlicher Entwicklung Ziel einer Politischer Bildung. Um der Tendenz zu Anpassung vorzubeugen, dürfen vorhandene Grenzen und Werte nicht als unveränderlich dargestellt, sondern müssen zur Diskussion gestellt werden. Der Unterricht sollte von konkreten Problemen ausgehen, die aktuell, relevant, kontrovers und den SchülernInnen? möglichst naheliegend sind.

Wie aber ist das Verhältnis von Politischer Bildung zur politischen Praxis? SCHMIEDERER sieht die politische Praxis nicht als absolutes Ziel, aber nach seiner Ansicht muss politischer Unterricht ohne politische Praxis die Lernenden frustrieren. Auch er kommt aus diesem Zwiespalt nicht heraus.

Diese unentschiedene Position wurde von STUBENRAUCH(1972) kritisiert. Zwar gab er zu, dass SCHMIEDERER eine in sich geschlossene Theorie auf der Basis einer marxistisch-ökonomischen Gesellschaftsanalyse aufgestellt habe, der theoretische Anspruch werde aber in der Praxis nicht erfüllt.

2.5 Erziehung zur Demokratie - Schausberger    

SCHAUSBERGER sieht als vordringlichste Aufgabe und Ziel eines politischen Unterrichts die Erziehung zur Demokratie an, zu der der Erwerb von Kenntnissen, die Ausbildung einer Urteilsbereitschaft und Urteilsfähigkeit, Selbstkritik und eine "Verhaltensweise , die von Toleranz, bewusster Identifizierung mit den Prinzipien der freiheitlichen Demokratie und der Orientierung an den Leitbildern der menschlichen Grundwerte.......", notwendig ist(SCHAUSBERGER 1970, 52).

Ohne Sachwissen ist die Bildung eines kritischen Urteils nicht möglich, daher müssen Kenntnisse über die gesellschaftliche Realität vermittelt werden. Da politisches Wissen vor allem aber als Konfliktwissen zu verstehen ist, müssen die Konfliktformen und die gesellschaftlichen Spannungsfelder erkannt werden. Der Schule fällt daher die Aufgabe zu, "den Prozeß der Emanzipation und Aufklärung stetig voranzutreiben und den Menschen zum homo quaerens zu erziehen. Nur so kann sie mithelfen, dass der Mensch durch das Verständnis der Gesellschaft zum Selbstverständnis kommt und mit seiner Ratio und seinem ethischen Vermögen einigermaßen Schritt halten kann mit dem stürmischen Fortschritt in Wissenschaft und Technik"(SCHAUSBERGER 1970, 53).

Politische Bildung hat Kenntnisse und Fakten zu vermitteln, die sich mit den Grundproblemen der gesamten Menschheit befassen, um zu sachlich fundierter, kritischer Urteilsfähigkeit gegenüber dem gegenwärtigen politischen Geschehen zu gelangen. Dieses Wissen muss nun zur Einsicht in die Verflechtung von privater Existenz und politischem Prozess führen und klar machen, "[...]welches Bild vom Wesen des Mneschen und von seiner Stellung im Kosmos für das politische Handeln maßgebend ist"(SCHAUSBERGER 1970, 55). Die Gewinnung von Einsichten bildet somit die Grundlage für politisches Handeln. Wissen und Urteilsfähigkeit rufen ein Verantwortungsbewusstsein hervor, aus dem sich die Bereitschaft zur Mitarbeit ergibt. Notwendig ist also die Erziehung zu einem Bürger, der das Gegenteil zum gehorsamen Untertanen, zum Kollektivwesen in den totalitären Staaten darstellt, der sich auch gegebenenfalls gegen die Gesellschaft zu behaupten lernt. Dazu bedarf es dauernder Selbstkritik, einer Bereitschaft zum permanenten Weiterlernen, vor allem aber zum bewussten Lernen aus Fehlern(vgl. SCHAUSBERGER 1970, 56).

Auch nach Meinung SCHAUSBERGERs ist Politische Bildung als Fachunterricht notwendig. "Die Politische Bildung wird als synoptischer Gegenstand nicht eine beziehungslose Addition von Teilwissenschaften sein können, sondern die gesicherten, zentralen Grundeinsichten und die wichtigsten Bereiche der Sozialwissenschaften in elementarisierter Form darbieten müssen........Politische Bildung als Unterrichtsprinzip in allen Fächern meint also Reflexion über deren politische Perspektive. So gesehen ist politische Bildung nicht auf ein Fach beschränkt, sondern soll alle Bereiche des Unterrichts erfassen"(SCHAUSBERGER 1970, 61).

2.6 Fach vs. Unterrichtsprinzip - Heintel    

In der Folge beschäftigt sich HEINTEL mit der Frage, ob Politische Bildung als Fach- und Wissensgebiet neben den anderen anzusetzen ist oder ob ihr eine besondere Aufgabe zukommt, die kaum in einem gesonderten Fach gelöst werden könnte.

Für Österreich ist diese Frage von Anfang an von besonderer Bedeutung. HEINTEL vertritt den Standpunkt, dass der Wert Politischer Bildung fundamental anzusetzen ist und sie "[...]in und mit jeder anderen Bildung vermittelt werden müsse"(HEINTEL 1976, 364), also ein Prinzip aller Bildung sein muss. Politische Bildung hat nicht nur ein Informationsdefizit zu beseitigen, sondern auch die ständig geschehende indirekte politische Verhaltensbildung zu beeinflussen. Wenn man die Verwirklichung konkreter Demokratie mit einer Einübung zulässt, muss man ein Individuum schaffen, dass nicht nur in der Theorie weiß, was Demokratie ist, sondern das auch demokratisch tätig sein kann. Dazu könnte politische Bildung als praktische kommunikative Verhaltensbildung dienen, "[...]am besten an dem Ort, an dem man ohnehin tätig ist"(HEINTEL 1977, 23).

Für die Ausbildung(Schule-Lehre-Studium) und die Vorbereitung auf die Arbeits- bzw. Berufswelt bedeutet dies die Forderung nach einem methodisch-didaktischen Angebot einer praktischen und sozialen Bildung(vgl. u.a. das Unterrichtsprinzip "Vorbereitung auf die Arbeits- und Berufswelt", Mitbestimmungsmodelle in der Polytechnischen Schule und den mittleren und höheren Schulen/Schülervertretung in den Schulgemeinschaftsausschüssen, Lehrlings- und Studentenvertretungen). Infolge eines noch in weiten Bereichen bestehenden Defizits müssen Betriebe und Unternehmungen sowie Interessensgruppen in der Folge diesen Mangel ausgleichen, was einerseits ihnen den Vorteil bietet, ihren eigenen Einfluss auszuüben, andererseits den Nachteil hat, Erwachsene umzuformen. Damit ändern sich nicht unwesentlich das soziale und kommunikative Verhalten im Umgang mit Menschen und die Vorstellungen von Autorität, Abhängigkeit, Konkurrenz, Solidarität und Individualisierung.

HEINTELs Anregung zur Kontroverse Fach vs. Unterrichtsprinzip löste eine inhaltliche Diskussion um einen neuen Fachbereich aus.

Ein Übersehen der großen Bedeutung der Politischen Bildung in anderen Fächern und das Ausräumen des Verdachts, ideologisch beeinflussen zu wollen und andererseits eine isolierte und pädagogisch wertlose Stellung eines neuen Schulfaches im Fächerkanon sind Befürchtungen, die im Raum - bis heute - stehen.

Wenn Politische Bildung als demokratische Verhaltensbildung geschehen soll, muss "[...]Politisches......auch dort gesehen werden, wo es als solches gar nicht explizit genannt ist und nur indirekt wirksam ist"(HEINTEL 1976, 370).


Politische Bildung ist keine spezifische Bildung neben anderen "Bildungsarten", sondern jene Bildungsbasis, "[...]auf der sich alle anderen erst entwickeln, jedenfalls aber selbst begreifen und ihren öffentlichen, sozialen und kommunikativen Anspruch erkennen kann"(HEINTEL 1976, 371).

2.7 Gesellschaftliche Veränderungen - Politische Bildung als Leitidee    

In den neuen Ansätzen im Übergang von der geisteswissenschaftlichen zur sozialwissenschaftlichen Ausrichtung der Erziehungs- bzw. in der Folge Bildungswissenschaft und damit Politischen Bildung zeigt es sich, wie unterschiedlich sich die Ansprüche und die Notwendigkeiten für einen gesellschafts- und bildungspolitischen Diskurs entwickelten(vgl. HUFER 2010, 13-24).

2.7.1 Anforderungen ab den siebziger Jahren    

Waren es die sechziger Jahre mit konservativen Moralvorstellungen, dem Schweigen zum Nationalsozialismus und ritualisierter politischer Ordnung, so erwies sich in den siebziger Jahren und in der Folge

2.7.2 Pädagogik einer Demokratisierung    

Im Streit über die Reichweite von Demokratie ging es um die Ausweitung auf das gesamte gesellschaftliche Leben,

Konsequenzen zeigten sich in Erziehung und Bildung mit den Institutionen Kindergarten, Schule, Universität und Erwachsenen- bzw. Weiterbildung.

Den wunden Punkt der Zeit traf Urs JAEGGI(1970) mit dem Band "Macht und Herrschaft in der Bundesrepublik". Jaeggi fragte nach der Rechtfertigung von Herrschaft, Elitevorstellungen, sozioökonomischen Bedingungen und plädierte für eine Demokratisierung des Alltags(vgl. ebda., 216). Bildung und Bewusstsein waren ein wesentlicher Aspekt, ebenso kritisch-emanzipative Vernunft(vgl. ebda., 176, 184). Das System der Bildungspolitik müsse demokratisiert werden(vgl. zu "Bildungsklassen" ebda., 170).

Was aktuell kritisiert wird, hatte im deutschsprachigen Raum seinen Ausgangspunkt zu Beginn der siebziger Jahre(vgl. ebda., 162-163).

Fritz VILMAR(1973)bearbeitet und konkretisiert in zwei Bänden "Strategien der Demokratisierung" aus gewerkschaftlicher Nähe. Argumentiert wird gegen HENNIS und die marxistische Linke(vgl. hier die Kritik am Kapitalismus als inhumane Herrschaftsform[vgl. Bd. I, 22]; kritisiert wird auch die Bilanz des Marxismus und die falsche Einschätzung des subjektiven Faktors[vgl. Bd. I, 212-213]). Es entsteht eine neue Konfliktlinie mit den Themen "richtiger Sozialismus", "wissenschaftlicher Sozialismus" und "demokratischer Sozialismus"(vgl. ebda., 23).

2.7.3 Positivismusstreit    

Im Positivismusstreit der deutschen Soziologie ging es darum, ob die Forschung der Sozialwissenschaften objektiv und wertfrei verfahren oder kritisch analysieren und verändern soll(vgl. POPPER-ALBERT vs. ADORNO-HABERMAS). In der Folge wurde Emanzipation zum gesellschaftspolitischen Programm.

Die Erziehungswissenschaft der siebziger Jahre wurde neben der empirisch-analytisch orientierten Ausrichtung nun politisiert. Freiheit und Veränderung der Gesellschaft wurden in der Bildung angestrebt. Skepsis entstand durch alle pädagogischen Disziplinierungen. Pädagogisches Handeln soll für Mündigkeit und Emanzipation Partei ergreifen(vgl. MOLLENHAUER 1968, 10; vgl. auch HEYDORN, BLANKERTZ und KLAFKI). Für Wolfgang KLAFKI waren etwa die drei Grundfähigkeiten Selbstbestimmung, Mitbestimmung und Solidarität. Gesellschaftskritik sei der politische Anspruch des Faches.

Die kritische Erziehungswissenschaft der siebziger und achtziger postulierte die Hoffnung, über Bildung und Erziehung eine Gesellschaftsveränderung zu erreichen und im pädagogischen Feld Bedingungen für die Entwicklung eines autonomen und vernunftbegabten Subjekts zu schaffen(vgl. KRÜGER 1999, 175).

2.7.4 Didaktische Impulse    

Damit erhielt die Didaktik der Politische Bildung eine wesentlichen Impuls. Die eingangs angeführten Ansätze von Wolfgang HILLIGEN, Herman GIESECKE, Ernst-August ROLOFF und Rolf SCHMIEDERER stehen dafür. Die didaktischen Konzepte von Giesecke(linksliberal) und Schmiederer(radikaldemokratisch-sozialistisch) wurden heftig diskutiert(vgl. HUFER 2010, 18).

In der Bildungspolitik wurde die Demokratisierung und Emanzipation in den "Hessischen Rahmenrichtlinien"(1972)als Lernziel genannt. Selbst- und Mitbestimmung muss sich in Handeln qualifizieren. Kritik kam 1976 von Dieter GROSSER, Manfred HÄTTICH, Heinrich OBERREUTHER und Bernhard SUTOR.

Kritische Politische Bildung wurde erst in der Folge zu einem Themenbereich, wobei Schwerpunkte

2.7.5 Politische Bildung in der Erwachsenen- bzw. Weiterbildung    

Die politische Erwachsenen- bzw. Weiterbildung verlief parallel zur Demokratie- und Emanzipationsbewegung. Das Erwachsenen- bzw. Weiterbildungssystem als quartärer Bildungsbereich wurde ausgebaut, 1973 in Österreich ein Gesetz zur Förderung beschlossen und die strukturell-organisatorischen Voraussetzungen geschaffen(vgl. den IT-Autorenbeitrag http://www.netuzwerkgegengewalt.org > Index: Erwachsenenbildung).

Mit den jüngeren akademisch geprägten und kritisch-orientierten sozialwissenschaftlich geschulten Lehrenden bzw. Kursleiter/innen entstand ein kritisches Korrektiv, eingeschränkt aber durch ein buntes Spektrum beruflicher Voraussetzungen in zehn Erwachsenenbildungsinstitutionen der Allgemeinen und Beruflichen Erwachsenen- bzw. Weiterbildung.

Erst mit der Installierung der "Weiterbildungsakademie Österreich"/Wien, Universitäts- bzw. Hochschullehrgängen und eigenen universitären Studienrichtungen der Erwachsenenpädagogik sowie dem Angebot des "Bundesinstituts für Erwachsenenbildung"/Strobl a.WS. kam es zu einem Professionalisierungsschub.

Soweit Freiwilligkeit/Ehrenamtlichkeit Verantwortliche und Lehrende erwachsenenpädagogischer Bildungseinrichtungen bestimmen, ist die Personaldecke dünn.

Politische Bildung wird im Kurs- bzw. Lehrgangssystem zögernd angenommen(vgl. dazu den IT-Autorenbeitrag http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Lehrgang Politische Bildung in der Erwachsenenbildung).

Kritik gab es im deutschsprachigen Raum an der ideologischen Besetzung der Erwachsenenpädagogik und ihren Theorien im Kapitalismus(vgl. MARKERT 1973).

Mobilisierend ist Politische Bildung in der Erwachsenenpädagogik bei Projekten der Stadtteilarbeit und in der interkulturellen Bildungsarbeit(Sprachkurse, Diversität, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtspopulismus, Religionen bzw. Weltanschauungen) sowie Migrationspädagogik geworden.

Gewerkschaftliche Politische Bildung hat ihre Grundlage im Konzept der Arbeiterbildung von Oskar NEGT(1971). An Erfahrungen der Teilnehmenden wurde hier angeknüpft, die zum Ausgangspunkt der Bildungsarbeit gemacht werden. Traditionelle Schulungen sind ureigener Bldungsauftrag(vgl. etwa die Betriebsräteschulung).

2.7.6 Erweiterte Themenbereiche    

Nicht zu vergessen ist die Erweiterung der Themenbereiche durch die Veränderungen von Gesellschaft und Umwelt(etwa Bildung, Kultur, Medien, Arbeit bzw. Beruf, Weltanschauungen bzw. Religionen - Alltag). Insofern hat Politische Bildung einen vermehrten Bildungsauftrag erhalten.

Man denke auch an die neuen Themenbereiche wie Europa, die Friedensarbeit, "citizenship"/zivilgesellschaftliches Engagement, Gender, Interkulturelle Kompetenz, Migration, Erwachsenenpädagogik im ländlichen Raum, Medien- bzw. Netzwerkarbeit, ökonomische Grundlagen/Wirtschaft, Globalisierung, Ökologie, Vorberufliche Bildung, Gesundheit und regional bedeutsam der Sprachenerwerb.

3 Gesellschaftliche Funktionen    

Politische Bildungsarbeit in der Schule ist ein notwendiger Bestandteil der Gesamtbildung des Menschen, denn die sogenannte "Allgemeinbildung", "Berufsbildung" oder ein "Fachmenschentum" garantieren noch nicht ein menschenwürdiges Dasein(vgl. FISCHER-HERRMANN-MAHRENHOLZ 1978, 14).

Ziel eines politischen Unterrichts ist daher immer

Unbestritten ist es eine soziale Aufgabe des Bildungssystems eines Staates bzw. einer Gesellschaft,

Da ein Bildungswesen im gesellschaftlichen Zusammenhang steht, kann auch die gesellschaftliche Funktion der Politischen Bildung nur in Verbindung mit der gesellschaftlichen Funktion von Bildung im Allgemeinen gesehen werden. Damit ist auch Politische Bildung in die Funktion und die Aufgaben der Institution Schule einbezogen(vgl. GROSSMANN-WIMMER 1979, 144-147).

Bildung und Bildungswesen sind nicht nur von der Gesellschaft abhängig, Erziehung wirkt wiederum auf die Gesellschaft. Das Schulsystem ist zwar Repräsentant der augenblicklichen Gesellschaftsordnung, "[...]aber es reproduziert diese zugleich, wenn auch in einer etwas veränderten Form"(SCHMIEDERER 1974, 10). Bildung und das Bildungswesen können nicht grundlegend anders als die Grundstruktur der bestehenden Organisation der Gesellschaft sein.


Hauptfunktionen der Politischen Bildung sind demnach das Bemühen um Demokratisierung - um das Erreichen von mehr Freiheit, vom Recht auf Widerspruch und der Anerkennung des Pluralismus in der Gesellschaft - und dem Anerkennen von Konflikten, Konfliktlösungen und Kompromissen.

4 Didaktik der Politischen Bildung    

Im Folgenden wird auf die Aufgaben, die Inhaltsstruktur, die Inhaltsauswahl, Ziele und Zielarten sowie deren Legitimierung im Unterricht eingegangen.

4.1 Aufgaben einer Didaktik    

4.1.1 Wissensbereiche    

Wissensbereiche sind die Sozialwissenschaften mit der

4.1.2 Fachdidaktik    

Die Fachdidaktik hat dagegen richtet sich vielmehr auf eine Tätigkeit, also auf das Lehren und Lernen mit Politik und Gesellschaft. Es geht also um Theorien vom Unterricht und vom Unterrichten(vgl. GAGEL 2000, 12).

Unterricht - verstanden wird im Folgenden darunter einerseits das Fach "Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung", andererseits das Einzelfach "Politische Bildung" und die inhaltsbezogenen Aufgabenfelder - soll zwei Kompetenzen vermitteln, die zwar unterschieden werden, obwohl sie zusammengehören.

Als didaktischer Zusammenhang stellt sich demnach

4.1.3 Bildungseffekt    

Wesentlich ist der Bildungseffekt in der Politischen Bildung. Bildung soll hier allgemein als Beitrag zur individuellen kognitiv-psychischen Entwicklung eines Menschen verstanden werden. Es sollen also Denk- und Erkenntnismöglichkeiten mit praktischer Bedeutung eröffnet werden. Die soll durch persönliche Erfahrungen zugänglich gemacht werden können(vgl. das "Parlament als System" mit der Erfahrung von bestimmten Zielen bzw. Zielobjekten, etwa mit demokratischem Umgang in Schule, in Betrieben und Organisationen, aber auch mit Themen wie Berufswahl, Fort- und Weiterbildung und Arbeitsmarkt["Sekundärsysteme"]).

Politische Bildung wird in diesem Kontext in einem engeren Sinn verstanden.

4.1.4 Lernziele    

Lernziele sind


Politische Bildung dient dem Einzelnen zur Orientierung in seiner Umwelt und befähigt zu demokratieadäquatem Verhalten.

4.1.5 Politisches Bewusstsein    

Als Klammerbegriff von sozialwissenschaftlicher(Wissen) und Politischer Bildung(Verhalten) versteht sich politisches Bewusstsein. Es bildet sich


Der politisch denkende und fühlende Mensch soll als Subjekt in die Politik eingreifen(Engagement), nicht erleidendes Objekt einer Politik sein.

4.1.6 Fachspezifische Didaktik    

Die Fachdidaktik ist eine Wissenschaft, die weniger Sachverhalte, vielmehr die Beziehung der Sachverhalte zu den Lernenden bearbeitet.

4.1.7 Kommunikation    

Die Verbindung zwischen der Wissenschaft und Lernenden findet durch Kommunikation als Informationsfluss statt.

4.1.8 Lehrende als Medium    

Der Vermittlungsvorgang zwischen Wissenschaft und Lernenden verläuft über ein Medium. Das bedeutet, dass Lehrende eine ähnliche Rolle wie Medien in der gesellschaftlichen Kommunikation spielen. Transportiert wird nicht nur die Information, auch die Sinndeutung (vgl. die Bedeutung eines Filters).

Lehrende wählen Inhalte aus, geben sie weiter, Lernende erhalten Informationen meist nicht aus erster Hand, Lehrpläne und in der Folge Schulbücher filtern. Lernende erhalten so ein Weltbild eines Mediums.

Die Fachdidaktik vermittelt selektiv die von der Fachdidaktik erarbeiteten Informationen an Lernende und kontrolliert diesen Vermittlungsvorgang(vgl. GRAMMES 1998, 60). Dazwischen liegt das/ein Medium - in unserem Fall Lehrende - mit der Reduzierung auf die Methodik.


Die Gefahr der Reduktion der Vermittlungsmethode macht bewusst, wie wesentlich das Wozu und Warum in der Politischen Bildung sich darstellt und reflexive Phasen im Lernprozess bei Lernenden und Lehrenden notwendig sind(vgl. GAGEL 2000, 44-45).

4.1.9 Transformation    

Offen bleibt nach dieser Darstellung der Inhalt. In der Politischen Bildung wird nach dem Kriterium "Bedeutung für das Leben bzw. die Gesellschaft" ausgewählt.

Die Qualität des Inhalts kann sehr wohl den Kommunikationsprozess beeinflussen.

In der Theorie der Wissensformen werden die qualitativen Veränderungen der Lerninhalte mit ihrem Anspruch beobachtet(vgl. GRAMMES 1998, 63, 177).

Die Wissensformen sind miteinander vernetzt, stehen also nicht in einer linearen Beziehung. Es kommt zu qualitativen Veränderungen(Transformationen)(vgl. GRAMMES 1998, 63-108).

4.2 Lerngegenstände - Inhaltsstruktur    

In der Folge geht es um die Frage der Lerngegenstände in der Politischen Bildung. Hier gibt es verschiedene Arten, die sich nach der Inhaltstruktur und der didaktischen Funktion unterscheiden.

4.2.1 Institutionenkunde - Fallprinzip    

Historisch ist die Frage in der Didaktik einzuordnen, ob Politische Bildung Institutionenkunde oder/und Fallprinzip sein soll(vgl. GAGEL 2000, 58-60). Angesprochen wird damit die unterschiedliche Beschaffenheit der Lerngegenstände. In der Inhaltsstruktur zeigt sich dies deutlich.

Institutionenkunde

Gegenstand > systematisch, abstrakt

Lernprozess > deduktiv, fachsystematisch

Absicht > Kenntnisvermittlung(sozialwissenschaftlich)

Fallprinzip

Gegenstand > exemplarisch, unvollständig, konkret, aktuell

Lernprozess > induktiv, Stufen der Einsicht

Absicht > wertbezogen(Politische Bildung)


Das Fallprinzip vermittelt für Lernende Verständlichkeit und Lebendigkeit. Es beeinflusst das politische Verhalten. Die Subjektbezogenheit ist gegeben.

4.2.2 Beschaffenheit der Lerngegenstände    

Angesprochen wird mit den zwei Bezeichnungen die Unterschiedlichkeit der Lerngegenstände. Es geht um die didaktische Struktur.


Fallprinzip und Institutionenkunde stehen in einem Kontext zueinander. Kenntniserwerb über Institutionelles ist Voraussetzung für das Gewinnen von Einsicht(Urteilsbildung). Institutionenkunde lässt sich ohne Zweifel am jeweiligen politischen Fall einbinden(vgl. MASSING 2014, 295-302).

4.2.3 Bezugsrahmen    

In der Folge bedarf es eines Bezugsrahmens, in den die Lerngegenstände eingeordnet und kategorisiert werden können. Gebildet wird der Bezugsrahmen durch Politikbegriffe - Form, Inhalt und Prozess - und Erkenntnisebenen - konkret und abstrakt.

Es zeigt sich, dass in der Didaktik der Politischen Bildung verschiedene Dimensionen zu unterscheiden.


Es versteht sich, dass Institutionenkunde sich mit Formen befasst, das Fallprinzip mehrere Dimensionen umfasst(Inhalt, Prozesse und Vorgänge). In der Politischen Bildung zeigt es sich, dass Politik von hoher Komplexität und multidimensional zu verstehen ist.

Im Unterricht sollte daher Eindimensionalität vermieden werden(vgl. GAGEL 2000, 70).

4.2.4 Lernweg als didaktische Aufgabe    

Lehrende haben in der Politischen Bildung zu entscheiden, wie sie den Lernweg gestalten. Es geht um die Frage des induktiven und deduktiven Lernwegs (Abstraktion - Konkretisierung).

Die Problemstellung lautet daher: Wie wird der Lebensbezug(das Konkrete) und das wissenschaftliche Wissen(das Abstrakte) miteinander verbunden? Der Lernende soll eine Beziehung(Relation) herstellen können. Man denke etwa im ökonomischen Lernen an die Thematik "Wirtschaftsform", die jedermann angeht, persönliche Erfahrungen vorhanden sind und im Lernprozess so abstrahiert werden sollen, dass zwischen Unterrichtsstoff und eigenem Leben es einen Zusammenhang gibt.

Lernende sollen die Erkenntnis gewinnen können, eine kognitive Orientierung/Intention zu erhalten. Politik und Gesellschaft müssen als Institutionen, Prozesse und System gekannt werden. Wissen ist dazu notwendig, das den Lebensbezug ermöglicht(vgl. GAGEL 2000, 77).

4.2.5 Arten der Inhaltsstruktur    

Den Erkenntnisebenen "institutionenkundliches Lernen"(abstrakt) und "Fallprinzip"(konkret) sind die folgenden Inhaltsstrukturen beizufügen.

In der Didaktik ergiebig erweisen sich Fall, Situation und Problem. Im Folgenden werden sie genauer beschrieben.

4.2.5.1 Begriff    

Die Begrifflichkeit "Inhaltstruktur" wird von Walter GAGEL(2000, 79) verwendet. Hermann GIESECKE(1993, 56) verwendet die Kunde, problemorientierten, konfliktorientierten und tagespolitischen Ansatz. Es fehlt jedoch der Lernanlass. Hier wird der "Lerngegenstand" verwendet(vgl. Tilmann GRAMMES[1998, 237]).

4.2.5.2 Fall    

Bezeichnet wird der Fall("case") als möglichst wirklichkeitsnahe Beschreibung einer Begebenheit, etwa eines politischen Problems und seiner Bearbeitung. Für deren Darstellung ergeben sich relevante Faktoren, zumeist mit einer Abfolge von Ereignissen.

Es ergibt sich damit

Der Fall ist in der Politischen Bildung ein Mittel des Entscheidungstrainings.

4.2.5.3 Situation    

In der Politischen Bildung bedingt die Situation Interaktion (Miteinanderhandeln). Ein Bewirken bedingt Handeln.

4.2.5.4 Problem    

Ein Problem ergibt sich aus der Spannung von Wissen und Nichtwissen. Politische Probleme haben zudem

Für die Didaktik gibt es die Schlüsselbegriffe wie das Ausmaß, die Entstehung, Betroffenheit, Lösungskonzepte und Interessen sowie Folgen. (vgl. SANDER 2014, 258-265, bes. 263).

4.2.5.5 Mikro- und Makrowelt    

BERGER-BERGER(1976, 11-17) haben die Begrifflichkeit "Mikrowelt" und "Makrowelt" eingeführt, um den Zusammenhang von konkretem und abstraktem Wissen aufzuzeigen. Um Gesellschaft zu erfahren, leben wir gleichzeitig in verschiedenen Welten - der Mikrowelt mit unmittelbaren Erfahrungen, einer vertrauten Umwelt mit face-to-face-Beziehungen und einer Makrowelt mit nicht erfassbaren umfassenden Strukturen und abstrakten Beziehungen(vgl. DEICHMANN 1996, 36).

Andere Begrifflichkeiten werden auch verwendet. So wird die Mikrowelt mit Fall-Situation-Problem, Konkretisierung, Alltags- und Lebenswelt sowie Alltagswissen, die Makrowelt mit Institution, System, Abstraktion, Politik und wissenschaftlichem Wissen bezeichnet.

Für die Didaktik ergibt sich das Problem, wie Lernenden ein Wissen über die Makrowelt vermittelt werden kann.

4.3 Inhaltsauswahl    

Nun mehr geht es um das Was des Unterrichts in Politischer Bildung. Eine Auswahl der Unterrichtsinhalte (Didaktik) ist die entscheidende Frage(vgl. mit Stand 2015 auch in Österreich die Frage, welche inhaltlichen Schwerpunkte im Unterricht von "Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung" als verbindlicher Kanon gesetzt werden).

Bereits 1966 wurde in der Fachliteratur ein Diskurs über Unterrichtsinhalte geführt, der mit den folgenden Auswahlkriterien benannt wurde: Aktualität, Lebenshilfe und Konfliktvermeidung(vgl. Forschungsberichte der Max Traeger - Stiftung 1966, Zur Wirksamkeit politischer Bildung Teil I: Eine soziologische Analyse des Sozialkundeunterrichts, Frankfurt, 113, 121). Die Frage blieb schon damals offen, ob die Kriterien eindeutig, annehmbar und begründbar seien.

4.3.1 Auswahlprozesse    

Mit der Fülle des Unterrichtsstoffes bedarf es für Lehrende einer Auswahl(vgl. die wenig rezipierte Möglichkeit bei Rahmenlehrplänen, eine stoffliche Auswahl/Selektion und eine Vereinfachung/Reduktion vornehmen zu können).

Hilfreich erscheint

Zu bedenken ist das Element des Zufalls. Wesentlich ist das "Woraufhin" reduziert werden soll. Selektionszwang heißt Kontingenz, Kontingenz heißt aber auch Risiko(vgl. LUHMANN 1984, 47). Die Vielzahl der Alternativen bedeutet naturgemäß die Notwendigkeit der Auswahl, damit ist es Kontingent. Kontingenz bedeutet das Zufällige im Gegensatz zum Notwendigen, das Gegebene im Gegensatz zum Unmöglichen. Die Auswahlentscheidung muss also begründet werden können(Legitimierung von Auswahlentscheidungen).

4.3.2 Auswahlverfahren    

Im Folgenden sollen Problembereiche bei Auswahlverfahren erkennbar werden und Lösungsvorschläge beurteilt werden.

1 Bedürfnisse -Interessen

Nach SCHMIEDERER(1977, 114) soll sich Unterricht nach den Bedürfnissen und Interessen(sowie Wünschen) Lernender orientieren. Auswahlprinzip ist der von ihm genannte "subjektive Faktor" in einem schülerorientierten Unterricht.

Themen sind demnach etwa

Hinzuweisen ist auf subjektive und objektive Interessen. "Der Schüler soll befähigt werden, seien (objektiven) sozialen und politischen Interessen zu erkennen"(vgl. SCHMIEDERER 1977, 115).

2 Auswahlaspekte

Bernhard SUTOR(1992, 40-41)bezeichnet die Zukunftsbedeutsamkeit, Aktualität und den Problemgehalt als wesentlich. Fragerichtungen mit Aspekte sollen es sein, weil die Exaktheit zwingender Kriterien nicht erreicht wird. Auch Inhalte sollen genannt werden, vielmehr geht es um Aufgabenfelder. Der Anspruch an Exaktheit wird als unerfüllbar hingestellt(vgl. GAGEL 2000, 125).

3 Historie

Im Folgenden soll untersucht werden, inwieweit historisch-politische Situationen Lerninhalte liefern können. Das Jahr 1989/90 kann als Beispiel für diesen Ansatz gelten(vgl. MISSELWITZ 1991, 3-8, hier 7; ROTHE 1992, 47-57, hier 48-49; GAGEL 1992).

4 Suchinstrumente

Sybille REINHARDT(1997, 29-30)weist auf Gründe hin, die in der Politischen Bildung Angaben verbindlicher Inhalte auf der Ebene von Richtlinien nicht möglich machen(vgl. in Österreich verbindliche Module im Fach "Geschichte-Sozialkunde-Politische Bildung" für den Teilbereich Politische Bildung). Angesprochen werden

5 Betroffenheit

Politik macht durch den Eingriff in das Leben betroffen(vgl. WEISSENO 1990, 214).

4.4 Denken oder Handeln als Lernprozesse - Ziele eines Unterrichts    

Im Folgenden werden Lernzielarten, Schlüsselbegriffe, Operationen und Schemata besprochen.

4.4.1 Denken und Handeln - Einführung    

Perspektiven und ggf. Schwierigkeiten in Zielen bzw. Zielbestimmungen eines Unterrichts in Politischer Bildung ergeben sich in

4.4.2 Lernzielarten/Strukturelles Lernen    

Lernzielarten werden nach GAGEL(2000, 188) unter dem Begriff "Strukturelles Lernen" zusammengefasst, womit eine Beziehung zur kognitiven Lerntheorie geschaffen wird. Benannt wird ein Lernen zum Erwerb von Denkstrukturen, mit dem Wissen geordnet und erweitert wird.

Dies bedeutet didaktisch die Fülle von Informationen für die jeweilige Entscheidung zu reduzieren. Die Entscheidung wird erleichtert, man kann das Vorwissen verwerten.

4.4.3 Kategorien/Schlüsselbegriffe    

Erfahrungen und Wahrnehmungen werden mit Hilfe von Kategorien geordnet. Wolfgang HILLIGEN(1985, 88)verwendet Kategorien synonym mit Schlüsselbegriffen(Erkenntnismöglichkeiten, Grundbegriffe/Ordnungsfunktion, Erkenntnisfunktion und Erklärungsfunktion).

4.4.4 Operationen    

Kognitive Strukturen entstehen, in denen Wissen in typischen Zusammenhängen organisiert wird(in Form einer Ordnung von Antworten und deren Beurteilung; vgl. Vorberufliche Bildung/Berufsorientierung: Themenbereich Berufswahl > Gesellschaft, Berufsfelder, persönliche Voraussetzungen, Informationsniveau).

Operationen helfen in ihrer unterschiedlichen Komplexität

Die einzelnen Denkhandlungen werden in einem Lernprozess zusammengefasst. Diese Denkhandlungen bilden eine Komplexität in aufeinanderfolgenden Schritten("step for step"). Ziel ist die Handlungsfähigkeit.

4.4.5 Schemata    

Als Handlungsprogramm(auch "Script" genannt) kann ein Unterricht etwa ein Rollenspiel initiieren(etwa in Form eines nachgespielten Entscheidungsprozesses oder einer Diskussion oder Debatte/Didaktikmodell: "Politzyklus" > Problem - Beratung/Auseinandersetzung - Entscheidung - Bewertung/Reaktionen - neue Problemstellung).

4.5 Kognitive Lerntheorie in der Politischen Bildung    

Die kognitive Lerntheorie ist für das Verständnis der Lernzielarten und Lerntheorien notwendig. Der folgende Abschnitt soll daher ausführlicher darauf angehen.

4.5.1 Kognitive Struktur    

Als Gefüge von Begriffen, Operationen und Schemata verändert die kognitive Struktur das Bewusstsein der Individuen. Erkenntnis, Denken und Handlungen werden beeinflusst.

Kognitive Strukturen lassen sich

4.5.2 Theoretische Ansätze    

Im Folgenden geht es um die Begriffe "kognitive Struktur" und "kognitive Komplexität".

David P.AUSUBEL spricht von "Ankerbegriffen"("advance organizer") für ein sinnvolles Lernen(vgl. den Politikzyklus in seiner Bedeutung für Lernprozesse der Politischen Bildung).

4.5.3 Umsetzbarkeit im Unterricht/Lehre    

Die beschriebenen Ansätze machen es möglich, die Lernzielarten zu verwenden. Es zeigt sich, dass strukturelles Lernen sich an der kognitiven Struktur orientiert. Andererseits werden die Lernzielarten durch die kognitive Komplexität definiert und zugeordnet.

Ein Problem stellt sich in dieser Kombination. Folgerungen für die Politische Bildung ergeben sich aus der Theorie der kognitiven Komplexität. Wissen ist gegenüber Bewertungen und Handlungen zweitrangig, weil diese und nicht die Inhalte Merkmale für die Verarbeitung enthalten.


Hilfreich ist das Modell des Aufbaues kognitiver Strukturen (vgl. GAGEL 2000, 241).

Stufen 3 und 4 sind Lernzielen der Politischen Bildung zuzuordnen.

4.5.4 Lernaufgaben der kognitiven Komplexität    

Kognitive Strukturen stellen als Lernziele Begriffe, Grundbegriffe/Schlüsselbegriffe, Operationen, Schemata und Modelle dar.

Kognitive Komplexität ergibt sich als Lernziele/Lernaufgaben in fundamentalen Problemen, kontroversem Denken und Problemlösungsfähigkeit. Im Folgenden wird darauf näher exemplarisch eingegangen.

4.5.1 Fundamentale Probleme    

Kognitive Orientierung in der Umwelt ergibt die didaktische Frage, was Lernende wissen müssen, etwa grundlegende Merkmale der jeweiligen Umwelt bzw. allgemein der Umwelt. Das Kriterium der Bedeutsamkeit filtert die Fragestellung.

Wesentlich ist die Reichweite und die Darstellung des Begriffs.

Fundamentale Probleme(mitunter auch "Schlüsselprobleme" genannt) zeigen sich in der Regel in Folgeproblemen und erzeugen Betroffenheit(vgl. bei der Thematik "Arbeitslosigkeit" als Folgeproblem Armut-soziale Ungleichheit, global Migrationsbewegungen, Bevölkerungswachstum und massive Gesundheitseinschränkungen[etwa Epidemien]).

In der Begrifflichkeit zeigen sich weltweite Interdependenzen, kaum kontrollierbare Entwicklungen in der Wissenschaft(vgl. die Gentechnik), Möglichkeiten der (Selbst-)Vernichtung der Lebensgrundlagen(vgl. Umweltkrisen) und die Notwendigkeit der medialen Erfahrung(vgl. Entwicklungen in den Medien von Subjektivität)(vgl. HILLIGEN 1991, 22; HILLIGEN besteht darauf, dass Chancen und Gefahren bedacht werden, die er didaktisch in einem kognitiven Schema als Denkmodell sieht).

4.5.2 Kontroverses Denken    

Das Aufschlüsseln fundamentaler Probleme auf innere Gegensätze ergibt ein kontroverses Denken(vgl. das Nahost-Problem aus historischer und politischer Sicht Israels und Palästina).

Die Information über gegensätzliche(kontroverse) Standpunkte und Meinungen weist auf Barrieren hin.

Bedenken sind bei einer Vereinfachung zu äußern,

Verlangt wird demnach kognitive Leistungen und affektive Eigenschaften bzw. Haltungen.

Lernaufgaben liegen immer normative Prämissen und Postulate zugrunde(vgl. Streitfragen, Konsensfähigkeit, begrenzte Erkenntnis, Reflexion eigener Positionen).

Didaktisch ist die Rolle von Lehrenden zu hinterfragen. Vielfalt von Meinungen, Aspekten und Hintergründen sind in der Sachanalyse und Didaktik der Unterrichtsvorbereitung zu berücksichtigen. Zu beachten ist die jeweilige Unterrichtssituation für die Lehrerrolle(unterschiedliches Lehrerverhalten - Zurückhaltung, Engagement bei politischen Absichten in der Lerngruppe).

4.5.3 Problemlösungsfähigkeit    

Ging es bisher um die Struktur des Lerngegenstandes, so soll nunmehr die Struktur des Denkens mit dem Problem der Lösungsfähigkeit behandelt werden. Von Interesse ist die Didaktik, die kognitive Qualifikationen erforderlich macht.

Das Modell der kognitiven Struktur umfasst die

Stationen (Modell) des Problemlösungsprozesses sind die(vgl. "Typhusprojekt"; GAGEL 2000, 263)

Gekennzeichnet ist ein Problem durch einen unerwünschten Anfangszustand, erwünschten Endzustand und Barrieren. Kern des Problems sind Barrieren. Diese ergeben als Umstrukturierung den Problemraum, die Situationsanalyse(= Problem), den Suchraum und die Lösung mit einer Evaluierung(= Lösung).

Kann man nah einem solchen Muster ggf. von einer Normalität einer Lösungsfindung sprechen, so gibt es auch eine "Logik des Misslingens"(vgl. ein Fehlverhalten, wie es in politischen Situationen durchaus vorkommt). Unzulänglichkeiten im Denken beim Umgang mit Unbestimmtheiten und einer Komplexität beruhen auf Ökonomie-Tendenzen, Kompetenzschutz, Schwächen des menschlichen Gedächtnisses und/oder einer Überwertigkeit des aktuellen Motivs(vgl. DÖRNER 1989, 288--295).

Positive Problemlösungsfähigkeit ergibt sich aus einer Mischung von kognitiven Qualifikationen und Verhaltensmerkmalen und weisen auf die folgenden Merkmale hin:

4.6 Werte als Lernprozesse - Ziele eines Unterrichts    

Im Folgenden geht es um den Sinn und die Grenzen einer Wertorientierung - Lehr- bzw. Studienpläne, Parteinahme und Parteilichkeit sowie oberste Lernziele - und Merkmale eines wertbezogenen politischen Verhaltens - "richtige" Werte, moralische Urteile, demokratische Tugenden und Grundwerte bzw. Leitideen.

4.6.1 Sinn und Grenzen einer Wertorientierung    

Es geht um evaluative Orientierung, die als Fähigkeit zu Stellungnahmen und Handeln zu verstehen ist. Neben der Erkenntnis ergänzt sie die Einsicht, was es sein soll. Erst durch das Handeln erhält sie einen Wert.

Evaluative Orientierung wird daher auch Wertorientierung benannt(vgl. GAGEL 2000, 271). Werte werden materiell(Güter), geistig-kulturell(Wissen, Bildung, Sinnorientierung) und sozial(Einfluss, Prestige, Autorität) eingestuft.

4.6.1.1 Lehr- und Studienpläne    

In Lehrplänen bzw. Studienplänen werden Werte an Inhalten und Lernzielen sichtbar. Sie bilden das politische Programm der Politischen Bildung. Merkmale sind die von Hans-Hermann HARTWICH(1977) beschriebenen Indikatoren der Sozialstaaten-Modelle.

Lehrpläne beinhalten ein (bildungs-)politisches Programm. Sie hängen von der Zusammensetzung der Lehrplan-Arbeitsgruppe, ihrem Selbstverständnis, fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Kompetenz ab.

Eine Analyse von Lehrplänen beinhaltet die

4.6.1.2 Parteinahme und Parteilichkeit vs. Indoktrination    

Politische Bildung bedeutet die Auseinandersetzung mit Politik und ihren Einzelformen, sie beinhaltet daher Politik im Sinne von Inhalten und Verhalten bzw. Handlungsfähigkeit.

Politische Programme meinen die Entscheidung für eine Richtung, was auch für andere Richtungen zu gelten hat. In jedem Fall kommt es zu Entscheidungsproblemen.

Parteilichkeit für Lehrende gilt nur,

Denkvoraussetzungen einer Politischen Bildung haben Prämissen. Unbestreitbar gibt es gültige Aussagen über eine gesellschaftliche und politische Wirklichkeit.

Indoktrination beinhaltet ein Verfahren, Erkenntnisse, Einsichten und Verhalten zu erzwingen(Sanktionen, einseitige Information, Verschweigen von Kontroversität oder Abqualifizierung anderer Erkenntnisse; vgl. das Überwältigungsverbot im "Beutelsbacher Konsens" 1976). Lösungen zur Verhinderung ergeben sich aus dem bereits besprochenen strukturellen Lernen und der kognitiven Komplexität.

4.6.1.3 Oberste Ziele eines Unterrichts/der Lehre    

Die Bezeichnung beinhaltet die Frage nach der Reichweite von Lernzielen.

Lernziele wecken(Lern-)Erwartungen, womit aus der Sicht einer Politischen Bildung ihre Funktion zu untersuchen ist(vgl. LOMPE 1971, 226).

Die Reichweite , also Wirksamkeit, wird bestimmt durch die

Zu fragen ist ebenfalls die Funktion oberster Lernziele in der Didaktik und Reflexion Lehrender.

4.6.2 Merkmale eines wertbezogenen politischen Verhaltens    

Fragen ergeben sich um die Richtigkeit von Werten, moralischen Urteilen, demokratischen Verhaltensweisen, Grundwerten und Leitideen. Im Folgenden wird auf diese wesentlichen Fragen für die Didaktik näher eingegangen.

4.6.2.1 Richtigkeit von Werten    

Bei dem Dioskurs um Werte prallen zwei Demokratietheorien aufeinander, die Werttheorie und die Prozesstheorie der Demokratie.


Für die Politische Bildung lässt sich eine Hierarchie der Werte formulieren(vgl. HEPP 1999, 144).

Menschenwürde

- - -

Anders wird die Wertediskussion in der Politische Bildung bei HENKENBORG(1999, 610-616/"Reflexionstheorie der Moral") gesehen.


Didaktisch verlagern sich Wertprobleme auf eine andere Ebene. Es geht um ein sozial bezogenes Handeln. Pädagogisch relevant ist die Geltung von Werten in realen Situationen(vgl. GAGEL 2000, 303).

Keineswegs wird ein wertfreier oder wertneutraler Unterricht angestrebt. Lernenden sollen Werten im Unterricht bzw. in der Lehre begegnen. In einer pluralistischen Gesellschaft werden Entscheidungssituationen in Politischer Bildung mit Hilfe von Werten durchdacht, ggf. auch durchlebt. Die Realität von Werten ist bewusst zu vollziehen, somit auch durch Nachdenken zu begleiten.

4.6.2.2 Struktur des moralischen Urteils    

Lawrence KOHLBERGs sechs Stufen bilden ein Schema bzw. eine Hierarchie der Urteilstypen. Es zeigt sich eine Verfeinerung des moralischen Urteils von der präkonventionellen zu den postkonventionellen Stufen. Kohlberg hat die Stufen nicht nur als Hierarchie, vielmehr als Entwicklungsstufen kognitiver Fähigkeiten entworfen(vom kindlichen Stadium zum Erwachsenenstadium).


Schema der Entwicklung moralischen Bewusstseins nach KOHLBERG(vgl. GAGEL 2000, 309)

Ebene I(präkonventionell)

Werte sind Eigenschaften von externen Ereignissen

Stadium 1: Gehorsam und Orientierung an Bestrafung

Stadium 2: Naiv-egoistische Orientierung

Ebene II(konventionell)

Stadium 3: Orientierung an Bravheit

Stadium 4: Orientierung an Autorität und Aufrechterhaltung an sozialer Ordnung - Orientierung an Pflichterfüllung

Ebene III(postkonventionell)

Stadium 5: Kontraktueller Legalismus

Stadium 6: Gewissens- oder Prinzipienorientierung

Als Kompetenz des Urteilens helfen die Stufen Unterrichtsverläufe zu erkennen und zu beurteilen.

Kohlbergs Urteilsformen sind deswegen für die Politische Bildung praktizierbar, weil sie situations- und bereichsunabhängig sind, keine Verhaltensregeln beinhalten, vielmehr zu Verhaltensbegründungen auf die Struktur zurückführen. Die Formen moralischen Urteils erweisen sich genereller Natur, vernachlässigt werden situative oder kulturelle Besonderheiten. Kritisch ist zu vermerken, dass die Gefahr einer gesinnungs-ethischen Moralisierung der Politik unter Vernachlässigung der situativen, interessens- und machtbedingten Zusammenhänge bestehen kann(vgl. SUTOR 1984, 30).


Die Unterschiedlichkeit zwischen einem moralischen Urteil und einem politischen Denken im Kontext mit moralischen Elementen zeigt sich in der Verschiedenartigkeit der Konflikte.

Diese Komplexität erkennt man an Bernhard SUTORs Modell des politischen Entscheidungsdenkens (vgl. SUTOR 1992, 35).


Modell des politischen Entscheidungsdenkens nach SUTOR

Kategorien einer Politischen Bildung in der Problemanalyse

Vorphase: Einstieg und Planungsgespräch - Problem/Konflikt, Betroffenheit, Bedeutsamkeit, Meinungen

Erste Hauptphase: Situationsanalyse - Information, Interessen, Beteiligte - Interpretation, Ideologien, Geschichtlichkeit

Zweite Hauptphase: Möglichkeiten - Macht, Organisation, Recht/Verfahrensregeln, Institutionen, - Beteiligung - Koalition, Kompromiss, Zielkonflikte - Durchsetzung

- - -

Zwischenschritte: Information - Planungsgespräche - Zwischenzusammenfassung

- - -

Dritte Hauptphase: Urteilsbildung,Entscheidungsdiskussion - Menschenwürde - Grundkonsens/Zumutbarkeit,Gemeinwohl - Wirksamkeit, Folgen, Verantwortlichkeit

Schlussphasen: Transfer, Kontrolle und Kommunikation

- - -

Die dritte Phase verbindet Werte und Realität, die keinesfalls einseitige Denkvorgänge sein müssen, vielmehr durchaus verknüpft werden können. Bewerten in Form einer Qualität von Begründen und politisches Handeln sind im politischen Entscheidungsdenken verbunden. In der Urteilsebene wird das Für und Wider abgewogen.

Politisch moralisch ist,


Die didaktische Funktion ergibt sich im Kohlbergschen Konzept eines moralischen Urteils aus der

Die Schlüsselfrage für Lernende ist die Fähigkeit zu Stellungnahmen zu sozialen und politischen Entscheidungsproblemen mit wertbezogenen Urteilskriterien, wobei eine Abwägung zu realitätsbezogenen Kriterien vorzunehmen ist. Nur so erreicht man verantwortungsethische Urteilsfähigkeit (vgl. REINHARDT 1999, bes. 51).

4.6.2.3 Demokratische Verhaltensweisen    

Denkformen zu einem moralischen Urteil besagen noch nichts über Handlungsweisen in einer konkreten Situation.

Verhaltensweisen("Tugenden") dagegen können als vorbildlich, nachahmenswert oder ablehnenswert erscheinen. Der Begriff hat durch die Historie eine Ambivalenz erhalten, die in der Politischen Bildung zu beachten ist.

Jedenfalls stellen Verhaltensweisen - etwa Pünktlichkeit, Fleiß, Ausdauer, Sauberkeit, Verantwortlichkeit, Gründlichkeit, Redlichkeit, Respekt, Solidarität und Toleranz - keinen Wert an sich dar, vielmehr haben sie eine dienende Funktion (vgl. HÖFFE 1997, 306-309).

Durch die Unterschiedlichkeit der "Tugendkataloge" - man denke an die kirchlich-religiösen Kardinaltugenden und/oder Tugenden des Bürgertums - muss in der Politischen Bildung nach Leitvorstellungen gefragt werden. Dies betrifft demokratische Tugenden, also Verhaltensweisen bzw. Verhaltensmuster für politisches Handeln in einem demokratischen Staat.

Dazu gehört/-en zunächst

Unterschieden in Aspekten von demokratischen Verhaltensweisen.

Diese Unterschiede können als Instrument zur Diagnose für Lehrende dienen, wozu die Ziele ihres unterrichtlichen Verhaltens neigen.

In der Folge können zwei Ansätze der Politischen Bildung festgemacht werden, das soziales Lernen und das politisches Lernen einschließt.

"Aber zu hören ist auch die Warnung vor einem 'unpolitischen Unterricht', der sich mit sozialem Lernen begnügt(manchmal aus der Not des fachfremd Unterrichtenden, weil man 'Lebenskunde' betreiben kann und weniger fachwissenschaftliche Kenntnisse benötigt)"(GAGEL 2000, 326).

Die didaktische Erkenntnis folgert, dass beide Aspekte sich ergänzen und damit eine Erziehung zur Demokratie in Lernziele übertragen werden, die auf politische Beteiligung bzw. politisches Handeln sich bezieht. Dies weist auf

4.6.2.4 Grundwerte - Leitideen    

Es gilt die These, dass im Bundes-Verfassungsgesetz(BVG)Grundwerte festgelegt sind und diese in der/einer Politischen Bildung als Verhaltensweisen von Lernenden verinnerlicht werden sollen.

Die Verinnerlichung ist das didaktische Problem. Werte in einer Persönlichkeitsstruktur lassen sich schwer planen. Vorrangig geht es um deren Anerkennung, also um eine Motivation für ein eigenes Handeln mit dem Ziel, eine Richtschnur zu besitzen.

Weil es um ein didaktisches Vorhaben geht, sollte eher von Leitideen gesprochen werden. Angestrebt wird ein Lernprozess, in dem die grundlegenden Werte in die Persönlichkeitsstruktur integriert werden sollen. Gemeint ist eine

Leitideen sind regulative Ideen, die die Richtung und nicht das Ergebnis vorgeben.

Als Vorschlag für Leitideen können die drei bereits behandelten Themen gelten, nämlich der

Als Bezug zur Bundesverfassung stehen die Leitideen mit den Begriffen Freiheit, Gleichheit, Solidarität und Frieden. Für den Lehrenden gilt die subjektive Seite mit dem Aspekt, die Werte zu hinterfragen - als Selbstprüfung, diskursive Rechtfertigung, Bestandteile eines (globalen)Ordnungssystems und Realisierungsmöglichkeit durch politisches Handeln(vgl. auch die Lernzielzusammenhang als Zusammenfassung nach GAGEL 2000, 335).

4.7 Legitimierung von Zielen und Inhalten    

Mit der Auseinandersetzung um Fach vs. Fachprinzip/Unterrichtsprinzip und didaktischen Konzeptionen - siehe OETTINGER, FISCHER, GIESECKE, HILLIGEN, SUTOR, ROLLOF, SCHMIEDERER, SCHAUSBERGER, HEINTEL, LÖSCH, THIMMEL - sowie pädagogischer Normen erweist sich die Notwendigkeit einer fachdidaktischen Diskussion um eine Legitimierung von Zielen und Inhalten in der Politischen Bildung.

Richtlinien als Erlässe bzw. Lehrpläne bzw. Studienpläne als Verordnungen stellen ein Politikum dar. Sie werden durch politische Entscheidungen mit hinreichender Zustimmung getroffen. Prozesse des Aushandelns bestimmen die Geltung im Sinne einer Verbindlichkeit(Legitimation, Legalität).

Die Rechtfertigung im pädagogischen Bereich ergibt sich aus der Tatsache, dass Lernende im Mittelpunkt des Handelns stehen, im Falle der Politischen Bildung das pädagogische Konzept Rahmenbedingungen bedarf, die eine pädagogische Legitimation ergibt. Es gilt der Übergang von kontroversen zu konsensfähigen Lernzielen.

4.7.1 Politische Legitimation    

So gesehen benötigen Lehrende(und Lernende) politische Legitimation von Inhalten und Zielen:

4.7.2 Legitimation in der Pädagogik    

Daneben gibt es noch Grundformen für eine Legitimation in der Pädagogik.

4.7.3 Legitimation durch gesellschaftlichen Konsens    

Eine Legitimation durch Konsens lässt erwarten, dass es in einer Gesellschaft Übereinstimmung über Anschauungen und Überzeugungen bzw. Normen, Werten und Vorgangsweisen gibt(vgl. GAGEL 2000, 362-364). In einer pluralistischen Gesellschaft muss man allerdings von einem Minimalkonsens ausgehen(d.h. eine Übereinstimmung in wesentlichen Grundfragen bei Fortbestehen von Gegensätzen in anderen Fragen in Form einer gewaltfreien Regelungen von Konflikten).

Demnach hat eine Politische Bildung auf Bedeutungsvarianten des Konsensbegriffs hinzuweisen. Konsens kann als

verstanden werden.

Damit wird der Konsens zu einem sozialen Prozess. Eine Zustimmung kann auch(und muss mitunter) gebildet werden. Es gibt eine Toleranzbreite für eine Zumutbarkeit.

Für Lehrende sollte gelten, dass in einem solchen Prozess die Adressaten von Entscheidungen tatsächlich oder zumindest antizipierend in eine Kommunikation über Inhalte der Entscheidung einbezogen werden.

4.7.4 Legitimation durch Kommunikation    

Legitimation ergibt sich aus der Art der Erziehungsziele. Dazu bedarf es einer dialogischen Struktur der Begründung von Zielen und Inhalten.

Schwierigkeiten treten auf, wenn gegensätzliche Auffassungen vertreten werden(vgl. die Differenzen zum Thema "Aufgaben der Gesellschaft"/normative Bewertung und "Erziehung zur Selbständigkeit"/pädagogische Bewertung).

Kommunikative Handlungen über Ziele und Inhalte setzen einen Austausch von Argumenten und Gegenargumenten voraus.

4.7.5 Diskursprinzip    

Das dialogische Prinzip hat Konsequenzen für die Politische Bildung, auf die näher einzugehen ist(vgl. HABERMAS 1981, 385-387).


Eine Auseinandersetzung um Politische Bildung kann in der Öffentlichkeit und /oder Bildungsinstitution stattfinden. Beide Handelnde sind einem Legitimationszwang ausgesetzt.


5 Reflexion    

"Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei, ist die allererste an Erziehung"(THEODOR W. ADORNO, Vortrag im Hessischen Rundfunk, 18.4.1966, GS 10.2, 674; vgl. ADORNO 1977).

Politische Erziehung wird im deutschen Sprachraum begrifflich als Folge der nationalsozialistischen Diktatur, Indoktrination und erziehungsstaatlicher Manipulation zurückhaltend verwendet.

Stattdessen hat sich der Begriff "Politische Bildung" durchgesetzt, "[...]um normativ die jederzeit notwendige reflexiv-kritische Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Politik hervorzuheben"(GRAMMES-WELNIAK 2012, 676).

Verwendet wird der Begriff "politische Sozialisation". Für den pädagogischen Begriff mit Unterricht bzw. Lehre, Realbegegnungen, Erkundungen, Expertengesprächen, persönlichem Wissen und Engagement verbleibt die Bezeichnung "Politische Bildung"("citizenship education").

5.1 Perspektiven    

Menschen sind soziale Wesen, auf ein Zusammenleben angewiesen. Diese anthropologische Existensbedingung mit Verschiedenheit und aufeinander Angewiesenheit ergibt "das Politische". Das Formale in interessens- und konfliktbezogenen Gesellschaften und Staaten ergibt "die Politik". Daraus ergibt sich die pädagogische Frage und Zielvorstellung, wie Menschen lernen können, in Freiheit und Frieden zusammenzuleben. Benötigt wird soziale Intelligenz und politischer Systembau(vgl. PATZELT 2008, 108-121).

Die Aufgabe, dass nicht alles politisch, aber jeder Sachverhalt kontrovers im öffentlichen Diskurs stehen und politisch entschieden werden kann, hat die Demokratiepädagogik aufgegriffen, die auf den Ebenen Lebensform, Gesellschaftsform und Staatsform konzipiert ist(vgl. HIMMELMANN-LANGE 2010).

5.1.1 Politische Bildung international    

Im angelsächsischen Bereich hat dies früh zur Verlagerung vom Nationalstaat auf die Zivilgesellschaft geführt. In der "Civic Education" zeigt sich Demokratie als Lern- und Experimentiergemeinschaft in allen Institutionen und sozialen Problemlösungen mit der Möglichkeit von Veränderungsmöglichkeiten(vgl. DEWEYs Pädagogik bereits 1916; OELKERS 2009).

In pluralistischen Gesellschaften im Kontext mit Globalisierungsaspekten kann der Ort des Politischen naturgemäß unscharf sein. Politische Bildung zeigt hier seine Grenzen zu anderen Erziehungsaufgaben. Dies erkennt man man im internationalen Diskurs etwa bei Multicultural Education, Intercultural Education/Studies, European Education, Global Education, Human Rights Education und Peace Education(vgl. SALOMON-CAIRNS 2010). Im Globalen Lernen weist sich Politische Bildung im Kontext mit Interkultureller Kompetenz/Bildung durchaus als griffig und antizipierend aktuell.

Im internationalem Sprachgebrauch wird Politische Bildung/Erziehung als Citizenship Education diskutiert(vgl. ARTHUR-DAVIES-HAHN 2008, GEORGI 2009).

5.1.2 Funktionen der Politischen Bildung    

Es lassen sich drei Funktionen einer Politischen Bildung festhalten(vgl. GRAMMES-WELNIAK 2012, 677):

5.1.3 Kriterien einer Politischen Bildung    

Die drei Kriterien des "Beutelsbacher Konsens"(1976) gelten für eine demokratische Politische Bildung(vgl. HELLMUTH-KLEPP 2010, 65):

Demokratiebezogene Kompetenzen sind etwa

Alternativen und abstraktes Denken sowie Urteils- und Handlungskompetenz in Verbindung einem Verständnis von Institutionen, Gesetzen und Wirkungszusammenhängen gehören zu einer demokratischen Politischen Bildung/Kultur.

"Neue Medien"(elektronische Demokratie) und basisorientierte Diskussionsformen ergänzen das Repertoire.

Lernfelder ergeben den Bezugsrahmen auf lokale, nationale und europäische und weltbürgerliche Ebenen(vgl. die Bemühungen um Globales Lernen; vgl. GRAMMES-WELNIAK 2012, 678).

In einem kosmopolitischen Bürgermodell werden die Differenzen zwischen Menschen und damit die universellen Menschenrechte anerkannt und sind Grundlage politischen Denkens und Handelns.

Politische Kultur und politische Sozialisation werden im gesamten Lebenslauf in formellen, informellen, latenten und manifesten Entwicklungsprozessen erworben(vgl. CLAUSSEN-GEISSLER 1996, WELNIAK 2011).

5.2 Bildungsbereiche    

Politische Bildung findet auf allen Bildungsstufen statt und ist Aufgabe aller vier Bildungsbereiche(Elementarbereich: Kindergarten-Vorschule; Primarbereich: Grundschulbereich; Sekundarbereich: HS-NMS-AHS-Unterstufe, PTS-BMS-BHS-AHS-Oberstufe; Tertiärbereich: Universitäten-Fachhochschulen-Kollegs-Universitätslehrgänge; Quartärbereich: Erwachsenenbildungsinstitutionen)(vgl. RICHTER 2007, STURZENHECKER 2011).

Zu vermerken ist, dass es ein Lehramtsstudium nur für das Fach "Geschichte, Sozialkunde und Politische Bildung" gibt und daher gravierende Mängel in der Ausbildung von Lehrenden vorhanden sind(vgl. dazu die Presseaussendung der Interessensgruppe Politische Bildung/IGPB vom 13.5.2013 > http://www.ots.at/pressemappe/11029/aom). Angeboten werden zudem Universitätslehrgänge als postgraduales Studium.

5.2.1 Lernfelder    

Interdisziplinär ergeben sich Lernfelder wie

Entsprechend ergeben sich die Bezüge zur Politikwissenschaft, Soziologie, Psychologie, Berufspädagogik, Zeitgeschichte und Intercultural Studies/Migrationsforschung sowie Kultur- und Sozialanthropologie.

Vermehrt bedarf es einer Berücksichtigung der Didaktik der Politischen Bildung(vgl. GAGEL 2000).

In "In-Groups" kann auf Grund der Erhöhung von Selbstwertgefühlen es zu einer Abwertung von fremd wahrgenommenen Gruppen kommen(Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz).

Massenprintmedien, digitale Medien und strukturelle Gruppenphänomene einer Mehrheitsgesellschaft führen mitunter zu Diskriminierungen und vermitteln Bilder gesellschaftlicher Schichtung(vgl. GRAMMES-WELNIAK 2012, 678-679).

5.2.2 Politische Institutionen - Politikformen    

Wenig attraktiv wirken auf Heranwachsende(und mitunter auf Erwachsene) in der Regel politische Institutionen und ihre Politikformen, weil wenig(er) demokratische Mitwirkungsformen und gesellschaftlich-soziales Engagement möglich sind(vgl. 16. SHELL-JUGENDSTUDIE 2010).

Freiwilligendienste sind für diese Gruppierungen eher attraktiv(vgl. den Zulauf zu Freiwilligen Feuerwehren und im Rahmen des Zivildienstes zu sozialen Hilfsorganisationen; man denke an das Angebot von Musikkapellen, Bergwacht, Bergrettung, Sportvereinen und Kulturorganisationen sowie von Clubs und informellen Organisationen). Berücksichtigt werden muss in diesem Zusammenhang, dass Freiwilligkeit in Bildungsinstitutionen, insbesondere der Erwachsenenbildung, mit Nachwuchsproblemen verbunden ist(vgl. Webside der Arbeitsgemeinschaft Evangelischer Bildungswerke in Österreich > http://www.aebw.at/rueckblick/ehrenamtlichkeit-der-erwachsenenbildung).

Unterschiedlich bewertet wird die steigende Zahl der Nicht-Wähler in Demokratien. Gründe werden in einer Form einer Opposition und/oder in mangelhaftem Interesse und politischer Apathie gesehen. Kontrovers wird diskutiert, ob das Absenken des Wahlalters und die Vorbildwirkung politischer Eliten als Mittel einer Politischen Bildung anzusehen sind. In diesem Kontext ist auch der beginnende Diskurs über eine Einführung einer Politische Bildung in der Sekundarstufe I in Geschichte-Sozialkunde-Politische Bildung mit Pflichtmodulen zu sehen(Stand: März 2015).

5.2.3 Herausforderungen für Politische Bildung    

Als Herausforderung für Politische Bildung gilt die Konfrontation mit totalitären bzw. autoritären Weltbildern, wobei professionelles Wissen, Empathie und Handeln pädagogische Interaktionen und Kommunikation in Verbindung mit Akzeptanz und Wertschätzung erforderlich machen(vgl. die Diskussion um ein Lehramt für Politische Bildung bzw. eine universitäre Ausbildung von Lehrenden; man beachte die bestehenden Universitätslehrgänge und ihre Professionalität für schulische und erwachsenenpädagogische Politische Bildung).

Schule agiert auf fünf Ebenen in der Vermittlung von Politischer Bildung im:

Offene Jugendarbeit stellt Heranwachsenden Räume zur Verfügung, in welchen sie sozialen und gemeinschaftlichen Umgang, Diskursfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Perpektivenübernahme/-wechsel entwickeln können.

Jugendverbände ermöglichen eine politische Vorbereitung durch Aktivitäten und Beteiligungen.

Die Hochschuljugend/Hochschülerschaft gilt mitunter als Kaderschmiede für kommende politische Eliten.

Die Erwachsenen- bzw. Weiterbildung ist vermehrt gefordert, sich mit Politischer Bildung in ihren Teilbereichen auseinanderzusetzen. Hemmend sind die ungleichen Berufsprofile der Lehrenden und ihre fachlichen Kompetenzen, als förderlich gelten das Vorwissen, die Berufserfahrungen und das persönliche Engagement.

Internationale Begegnungen ergeben interkulturelle Erziehungsprozesse mit einem Abbau von Ängsten, Vorurteilen und Stereotypen sowie Lernprozessen für neue Weltbilder, Kultur- und Kommunikationsformen. Politische Bildung unter dem Aspekt von Interkulturalität ist ein Erfordernis einer pluralen und globalisierten Gesellschaft geworden.

In der Politischen Bildung gestaltet der Lernende die Gesellschaft. Lehrende beeinflussen Lernende und umgekehrt.

Es gehört zur pädagogischen Ethik, Lernende nicht für Interessen von Erwachsenen zu funktionalisieren.

Politische Bildung hat mit nicht beabsichtigten Folgewirkungen zu rechnen. So können etwa Lippenbekenntnisse, öffentliche Meinungen, Massenmedien, Ideologien, Vorurteile und Stereotypen Meinungen bilden, die zu hinterfragen sind.

Die Gefahr von subtilen Formen von Machtausübung ist auch in offenen, demokratischen und individualisierten Lernformen gegeben(vgl. etwa moralisierende Losungen und repressive Klassenregeln).

Räume der Reflexion sind jedenfalls in einer Politischen Bildung notwendig und müssen praktiziert werden können(vgl. etwa die Bedeutung von Erwachsenenbildungsinstitutionen mit ihren Angeboten, institutionalisierten Foren, Leserforen, Jugendzentren, Freiwilligentätigkeiten und zivilgesellschaftlichem Engagement).

Literaturhinweise Teil I    

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Teil II    

Beitrag der Vorberuflichen Bildung/Erziehung im Kontext Politischer Bildung/Erziehung    


Vorberufliche Bildung versteht sich als pädagogischer Beitrag zur Orientierung in beruflicher Bildung und in der Arbeits- und Berufswelt an der Schnittstelle zu der zunehmend notwendigen Berufsorientierung und Politischen Bildung/Erziehung Heranwachsender und Studierender bei der Gestaltung künftiger sozialer Beziehungen(vgl. BEINKE 2006; BENNACK 1995, 376-383; HÄNDLE-OESTERREICH-TROMMER 1999, 113-114; SCHUDY 2002).

In Österreich ist die vorberufliche Bildung als Vorbereitung auf eine zunächst stattzufindende Schul- bzw. Studienwahl - in der Folge dann auch Berufswahl - gesetzlich der Schule und dem Arbeitsmarktservice(AMS) zugewiesen. Bereits die Grundschule bereitet berufsbezogene Bildungsziele vor, die anschließend im Sekundarbereich mit Aspekten einer Persönlichkeitsbildung weitergeführt werden.

Neuere Aspekte einer vorberuflichen Bildung ergeben sich aus der Lehrerbildung und Berufspädagogik an den Instituten für Erziehungswissenschaften bzw. Bildungswissenschaft der Universitäten.

Vermehrt verdienen Beachtung Kooperationsmodelle mit den Berufsinformationszentren des AMS und der Wirtschaft(BIZ), Einrichtungen der Sozialpartner und Eltern, insbesondere im Abbau von Diskriminierungen und dem Aufbau von sozialen Integrationsmodellen in der Berufsorientierung von Mädchen und Ausländerinnen.

Einleitung    

Unter "Vorberufliche Bildung" werden alle Interaktionen zwischen Berufswahlsuchenden und anderen Personen verstanden, die unterstützend helfen, das Berufswahlverhalten in didaktischen Schritten und individueller Beratung zu verbessern und so die Ratsuchenden bei der Entscheidungsfindung und -umsetzung zu unterstützen.

Auf Grund der Teilaufgaben vorberuflicher Bildung/Erziehung wird dieser Bereich der Berufspädagogik zugewiesen.

Abb. 1: Teilbereiche der vorberuflichen Bildung

Vorberufliche Bildung/Erziehung
Orientierung über berufliche Bildung (Bildungsinformation)Orientierung über die Arbeits- und Berufswelt (Berufsorientierung/Berufskunde)

In der einschlägigen Literatur ist das Erreichen einer altersstufengemäßen Berufswahlkompetenz, die entsprechendes Wissen anstrebt sowie Information und Motivation umfasst(vgl. SCHUDY 2003).

1 Vorberufliche Bildung/Erziehung - Berufsorientierung    

1.1 Schulische Berufsorientierung    

Pädagogische und gesetzliche Aufgabe der Schule in einer vorberuflichen Bildung ist es,

Ziel dieser vorberuflichen Bildung/Erziehung ist eine sachkompetente, möglichst selbstbestimmte und sozial verantwortbare Schul- bzw. Berufswahlentscheidung mit möglichst realistischer Einschätzung der Bedingungen(Lehre; Schule/Studium - Beruf).

Daraus ergeben sich Teilfähigkeiten:

Unter Zugrundelegung der verschiedenen Berufswahltheorien zu einem Rahmenkonzept ergibt sich, dass ein längerfristiger Prozess der Schul- bzw. Berufswahl, der früh genug und altersstufengemäß didaktisch-methodisch als

Abb. 2: Rahmenkonzept einer schulischen Berufsorientierung

SCHULE
Unterricht
(Berufsorientierung)
VORBERUFLICHE BILDUNG/ERZIEHUNG SCHULE-ARBEITSMARKTVERWALTUNG
Beratung: Schülerberatung/Schule
Jugendberatung/BIZ
Projektarbeit
SCHULE-WIRTSCHAFT
Realbegegnungen
SCHULE
Elterninformation


Exkurs: Berufswahltheorien - Berufswahl als Prozess

Unter der Perspektive des Zukunftsbezugs bzw. des Lebenslaufes ist die Berufswahl ein jahrelanger Entscheidungsprozess, im Laufe dessen die Berufswünsche im Zeitraum zwischen einem Abschluss einer Allgemeinbildung an einer Schule und der Übernahme einer beruflichen Erstausbildung oder Arbeit auch durch Fremdeinflüsse mit unterschiedlicher Intensität festgelegt werden.

Nach SCHARMANN geht die Berufswahl in der Schweiz erstmals um 1950, in Deutschland und Österreich erstmals in den sechziger Jahren unter Bedingungen vor sich, die es der Mehrzahl der männlichen Jugend möglich machen, einen Ausgleich zwischen Berufsneigung und Aufstiegswunsch einerseits sowie Ausbildungsmarktbedingungen andererseits zu erreichen. Ab diesem Zeitpunkt kann man "zum erstenmal vom Recht der freien Berufswahl im Sinne der bürgerlich-individualistischen Berufsauffassung und ihren modernen Spielarten faktisch" sprechen (SCHARMANN 1966, 76). Sieht man von den wenigen Ausnahmefällen ab, bei denen durch Sonderbegabung das Kind auf einen häufig künstlerischen Beruf fixiert ist, so ist die Berufswahl ein jahrelanger Entscheidungsprozess, im Laufe dessen die Berufswünsche wechseln und die Fremdeinflüsse mit unterschiedlicher Intensität wirken. Die Berufswahl ist also kein einmaliger Akt (vgl. DAUENHAUER 1978, 137). Der Verlauf dieses Prozesses lässt sich als eine Folge von Situationen darstellen, die man als Berufslebenslauf (Berufsbiographie) bezeichnet.

Nach HOPPE ist berufliches Verhalten in der gesellschaftlichen Realität gekennzeichnet durch nicht eindeutig festgelegte Verhaltenssituationen für den Einzelnen mit offenen Entscheidungs- und Handlungspielräumen für das Individuum. Menschliches Handeln erfolgt daher als Wechselbeziehung von Individuum und Gesellschaft vor dem Hintergrund individueller Erfahrungen, Erwartungen und Ziele (vgl. HOPPE 1980). Daraus folgern vier theoretische Ansätze (Berufswahltheorien), die Handlungs- und Entscheidungssituationen differenziert darstellen und unter dem Gesichtspunkt pädagogisch notwendiger Maßnahmen im Berufswahlunterricht darzulegen sind.

Darunter versteht man einen Interaktionsprozess zwischen einer Person (Persönlichkeitsstruktur) und einem beruflichen Objektbereich (Berufstruktur) mit dem Ziel, verschiedene Berufstätigkeiten zu analysieren und alternativ zu vergleichen und auf Grund subjektiv wie objektiv gesetzter Prioritäten eine Entscheidung zu treffen. Für Schüler stellt sich der Übergang von Bildungs- in Beschäftigungssysteme als Entscheidungssituation dar, in der sie unter einer Vielzahl von möglichen Ausbildungswegen und Berufsfeldern bzw. Berufen auswählen müssen.

Dieser Prozess vollzieht sich mehrstufig über einen längeren Zeitraum mit Informationsaufnahme und Informationsverarbeitung. Nach LANGE/BÜSCHGES gibt es mit den drei Modellen der rationalen Wahl, des Durchwurstelns und der Zufallswahl Formen der Entscheidung (vgl. LANGE-BÜSCHGES 1975, 101-102).

Nach RIES ist die Berufswahl keine isolierte zeitliche Handlung, sondern als Abschnitt im Laufe eines lebenslangen beruflichen Entwicklungsprozesses anzusehen. Berufswahl ist die Resultante einer Kette von determinierten Wahlen, ein Prozess also, der weitgehend auf Grund des Drucks, den die Realität und die Gesellschaft ausübt, irreversibel ist (vgl. RIESS 1970, 33-34). Eine solche Berufswahl beginnt bereits mit der Entscheidung für die Schulbildung, die den weiteren Zugang zu Ausbildungsituationen determiniert. Im österreichischen Schulsystem kommt es jeweils nach Abschluss der Grundschule (Vor- und Volksschule/VS), Hauptschule/HS bzw. Unterstufe der allgemeinbildenden höheren Schule/AHS, der Polytechnischen Schule/PTS, der Oberstufe der allgemeinbildenden höheren Schule/AHS, der berufsbildenden mittleren/BMS und höheren Schulen/BHS zu entscheidenden Schulwahl- und Berufswahlmomenten (Schnittstellenproblematik des Schulsystems). Im weiteren Verlauf dieses Prozesses kommt es zu konkreten Entscheidungen bei der Wahl der Berufsposition und in der Folge zu Entscheidungen der beruflichen Fort- und Weiterbildung (vgl. DECKER 1981, 47). Berufswahl umfasst somit den gesamten Bereich einer beruflichen Karriere. Um Problemsituationen von Berufswählenden verstehen zu können, bedarf es der Kenntnis der individuellen Entwicklungsgeschichte und Sozialisation, wobei dies aus der Biographie begriffen werden kann. In das im Laufe einer Sozialisation aufgebaute berufliche Selbstkonzept fließen individuelle Erfahrungen und Vorstellungen des Berufswählenden ein. Bestimmte berufliche Rollen beeinflussen dieses Selbstkonzept.

In der Diskussion um den entscheidungstheoretischen und entwicklungstheoretischen Ansatz bei der Berufswahl werden oft unterschiedliche Bezugsruppen, die eine Identifikation des Berufswählenden bewirken, schichtenspezifische Ungleichheiten und ein unterschiedliches Angebot an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen vernachlässigt. Diese gesellschaftlichen Faktoren bewirken geringere individuelle Entwicklungsmöglichkeiten und engen damit die Entscheidungsfreiheit ein. Nach SEIFERT sind zwei Bedingungsfaktoren wesentlich, weshalb man auch von sozioökonomischen Bedingungen spricht:

- Soziokulturelle und sozialpsychologische Determinanten

Man kann also feststellen, "dass 'das formale Recht' der freien Berufswahl, wie es das Grundgesetz garantiert, für die meisten Mitglieder der Gesellschaft druch das 'faktische Recht' der gesellschaftlichen Verhältnisse ausgehöhlt wird und damit zu einer Leerformel in der politisch-ideologischen Auseinandersetzung gerät" (LANGE-BÜSCHGES 1975, 91).

Die Berufswahl wird als Ergebnis von Wechselbeziehungen aufgefasst, in der mehrere Interaktionspartner - Wählende, Eltern, Lehrer, Berater, Gleichaltrige und Medien - über einen bestimmten Zeitraum miteinander interagieren, um das Berufswahlproblem zu lösen. Verschiedenste Interessen und Wertvorstellungen der Beteiligten fließen ein. Je mehr einzelne Fähigkeiten und Fertigkeiten für einen künftigen Beruf ausgeprägt sind, desto leichter ist eine Berufswahl. Bei Schülern mit mehr Kontakt zu Eltern und Lehrern verläuft die Berufswahlentscheidung rationaler. Es besteht eine Korrelation zwischen Herkunftsschicht, Schulleistung und Rationalität. Schüler mit einem hohen Grad an rationaler Entscheidung halten leichter auch bei einem knappen Angebot an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen fest. Bei Schülern mit unterrichtlicher Erfahrung mit Realbegegnungen - Erkundungen, berufspraktische Tage/Woche - ergibt sich eine größere Chance einer rationalen Entscheidung.

Nach SEIFERT kann man fünf Hauptgruppen von Interaktionspartnern unterschieden: Lehrer, Berater, Berufsverbände, soziale Bezugsgruppen und Medien (vgl. SEIFERT 1977, 426-453).

Abb.3: Interaktion (vgl. DECKER 1981, 170)

INTERAKTION
bezieht sich auf das Handeln
von Personen und Gruppen
soziale Interaktion
sachliche Intraktion
Auseinandersetzung mitMenschen(Kommunikation), Problemen und Aufgaben
IN SOZIALEN SYSTEMEN
(= Prozesse, Geschehnisabläufe, Ereignisse)

HOPPE ergänzt noch die Einflussfaktoren mit dem Begriff "gesellschaftliche Realität".

Bei aller Unterschiedlichkeit in der Feststellung der Einflussfaktoren bei einer Berufswahl spielen Eltern eine große Rolle, weil sie jedenfalls Hilfstellungen geben können und eine gewisse Sicherheit bei der Entscheidung vermitteln. Am Besten in Erinnerung bleiben den Vierzehnjährigen - also jener großen Gruppe am Ende der Sekundarstufe I - jene Informationen, die sie bei im Berufswahlunterricht bei Aspekterkundungen und in den Berufsinformationszentren mit Impulsfilmen und TV-Sendungen erhielten. Antizipiertes Lernen in Verbindung mit Selbsterkundung - "entdeckendes und planvolles Lernen" - ist ein Lernverfahren mit hohem Speicherwert (vgl. EDELMANN 2000, 138-141, 199). Der Einfluss der Schüler- bzw. Bildungs- und Jugendberatung muss ingesamt eher als gering bezeichnet werden. Allerdings helfen solche Beratungen, wenn die Ratsuchenden bestimmte Vorstellungen bereits mitbringen.


Die Wahl des Erstberufs stellt nur eine, wenn auch besondere Phase dar. Diese Phase fällt in einen entscheidenden Entwicklungsabschnitt für das Hineinwachsen des Jugendlichen - auch in Rollen in Familie, Freizeit und öffentlichem Leben - und steht zumeist in Wechselbeziehungen dazu. In diesem Entwicklungsprozess spielen Reifungsprozesse mit persönlichen Lernerfahrungen zusammen, die auf diesen Altersstufen, insbesondere auch von der Schule, vermittelbar sind.

Eine Abstimmung der Aufgaben von Schule und Arbeitsmarktservice (Jugendberatung) gründet sich auf eine Rahmenvereinbarung zwischen den damaligen Bundesministerien für Unterricht und Kunst (BMUK) und Arbeit und Soziales (BMAS) aus dem Jahre 1974 (BMUK/Erlass v. 10.9.74, Zl. 47.370-ADM/74; BMAS/Erlass v. 17.9.74, Zl. 36800/10-19/74). Danach soll die Schule Kenntnisse über die Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt, gegebenenfalls auch Berufswahlunterricht - damals Berufskunde am Polytechnischen Lehrgang - vermitteln , während die damalige Berufsberatung der Schule Ergänzungen bzw. Unterstützung anbot (vgl. dazu AMFG §§ 3-5).

In Schulversuchen mit Modellschulen/Modellklassen wurden Formen der Kooperation erprobt bzw. an außerschulischen Lernorten freiwillig angeboten. Solche Erprobungen und die Weiterentwicklung von Unterrichtsgegenständen, in denen Kenntnisse über die Arbeits- und Berufswelt vermittelt wurden, führten in der Folge dazu, dass sich Gegenstandsbereiche herausbildeten, die im engeren Sinne zur schulischen Berufsorientierung gerechnet werden (vgl. dazu Schulversuch/Schulmodell Interessen- und Berufsorientierte Hauptschule; Landhauptschule - Kurs Berufsorientierung; R 30 Berufsorientierung - Beratungsprojekt für Schüler/Innen höherer Schulen im nördlichen Weinviertel). Dies führte zu unterschiedlichen Konkretisierungen im schulischen Bereich.

Im Gesamtfeld vorberuflicher Maßnahmen darf nicht vergessen werden, wie wichtig der Einfluss von Eltern, Familie, Medien und Gleichaltrigen (peer group) ist.

Folgende Möglichkeiten in den verschiedenen Schularten ergeben sich bei der Einführung in die Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt:

Das Prozesshafte der Schul- bzw. Berufswahl kann dazu verführen, die Berufsorientierung in der Schule zum ausschließlichen Unterrichtsprinzip zu machen und ihr damit keinen festen didaktischen Ort im Fächerkanon zuzuweisen (vgl. VERBINDLICHE ÜBUNG "BERUFSORIENTIERUNG"/HS und AHS-Unterstufe/3. und 4.Klasse; UNVERBINDLICHE ÜBUNG "ORIENTIERUNG AUF BERUFS- UND ARBEITSWELT"/AHS-Oberstufe 5. bis 8. Klasse auf zwei aufeinanderfolgenden Schulstufen). Dies bedeutet, dass sich für Kerninhalte und den Zusammenhang zwischen Teillernzielen der Berufsorientierung in anderen Fächern kein Unterrichtsgegenstand verantwortlich fühlt (vgl. BUNDESANSTALT FÜR ARBEIT, Handbuch zur Berufswahlvorbereitung, Nürnberg 1992, 19; VOHLAND 1980, 197-198). Dies führt dazu, dass einige Fächer nur gelegentlich auf Anforderungen der Berufsorientierung eingehen oder der Fachbereich kaum als existent erscheint.

Kerninhalte einer schulischen Berufsorientierung bedürfen eines festen didaktischen Ortes, man denke bei anderen Unterrichtsprinzipien vergleichsweise an die Sprech- und Leseerziehung in Deutsch und die Umwelterziehung in Biologie und Umwelterziehung.

Abb.3 Vorberufliche Bildung - Themenbereiche

VORBERUFLICHE BILDUNG - SCHULISCHE BERUFSORIENTIERUNG
 
KOOPERATION SCHULE-WIRTSCHAFT-AMS BEREICHE DES AMS
Unterrichtsprinzipien:Jugendberatung
Vorbereitung auf die Arbeits- und BerufsweltArbeitsplatzvermittlung
Politische BildungBerufsinformationszentren/BIZ
WirtschaftserziehungTeilnahme an Elternveranstaltungen
UmwelterziehungBerufskundliche Ausstellungen
Vorbereitung auf neue Techniken/
Kommunikations- und Informationstechniken
 
Schüler- bzw. Bildungsberatung 
Berufsorientierungsunterricht 
Realbegegnungen: Erkundungen-Lehrausgänge/
Exkursionen, berufspraktische Tage/Woche
 
Projektarbeit 
Elternarbeit 
Ausstellungen/Informationsveranstaltungen 
Berufsinformationszentren/BIZ des AMS und
der Wirtschaft
 

Gesetzliche Grundlage der Schule: SCHULGESETZE - Gesetzliche Grundlage des AMS:AMSG §§ 3-8 i.d.g.F.

Die Gegenstandsbereiche der Schule und der Lehrerbildung, in denen Basiskenntnisse/Haltungen über die Arbeits- und Berufswelt vermittelt werden, zeigen die Lehrpläne der einzelnen Schultypen, wobei die Aussagen zu den einzelnen Unterrichtsgegenständen zu beachten sind.

Der Aufbau eines Lehrganges "Berufsorientierung"/Verbindliche Übung(HS, AHS-Unterstufe), 7. und 8. Schulstufe, geht von den folgenden Bildungs- und Lehraufgaben, Bildungszielen und didaktischen Grundsätzen aus.

Abb.4: Berufsorientierung - Lehrplanangaben

BILDUNGS- UND LEHRAUFGABEN, BILDUNGSZIELE UND LEHRSTOFF, DIDAKTISCHE GRUNDSÄTZE

Bildungsziele:

Für eine schulische Berufsorientierung in der Sekundarstufe II sind die Polytechnische Schule(PTS) mit dem Pflichtfach "Berufsorientierung/Lebenskunde" und die AHS-Oberstufe mit der Unverbindlichen Übung "Orientierung auf Berufs- und Arbeitswelt" von Bedeutung.

Abb. 5: Berufsorientierung - Lehrplanangaben

AUFBAU EINES BERUFSORIENTIERUNGSLEHRGANGES, PFLICHTFACH MIT SCHWERPUNKTBILDUNG(PTS), 9. SCHULSTUFE
Hauptbereich

Von der Schule in die Arbeitswelt
Arbeit und Leben
Berufsfelder und Berufe
Die Arbeitswelt erfahren
Berufsfindungsprozess und Berufswahlvorbereitung
Aspekte

Gesellschaftliche Bedingungen von Arbeit und Beruf
Arbeit und Beruf im historischen Prozess
Neue Technologien und Zukunftsorientierung
Frauen und Männer in der Arbeitswelt
  
 Allgemeine Berufskunde

Berufs- und arbeitsrechtliche Bestimmungen
Sozialgesetzgebung und ihre Bedeutung
Berufsbegleitende Institutionen und
Weiterbildungsmöglichkeiten
  
 Menschengerechte Arbeitswelt
  
 Mitbestimmung, Mitgestaltung und Mitverantwortung im
Betrieb
  
 Aspekte des Umweltschutzes im Betrieb

Im Folgenden soll zusammenfassend aufgezeigt werden, welche Begründungen für eine vorberufliche Bildung in der Schule bestehen:

1.2 Lehrerbildung in der APS    

Ab dem Schuljahr 1991/92 wurde an den Pädagogischen Instituten(PI) ein Studienversuch für ein Lehramt "Berufsorientierung und Bildungsinformation/Berufskunde"(Hauptschule/Polytechnischer Lehrgang)mit dem Ziel eingerichtet, die Kompetenz des Lehrers dieses Fachgebietes neben den (damaligen)beiden Unterrichtsgegenständen auch für eine Betreuung der Realbegegnungen(Erkundungen-Lehrausgänge-Exkursionen; berufspraktische Tage/Woche) zu erweitern. Die Lehrveranstaltungen vermitteln den anschaulichen Hintergrund schulischer Berufsorientierung - "Lernen vor Ort" - mit einer methodisch-didaktischen Umsetzung der praktischen Berufsorientierung im Unterricht. Die solcherart ausgebildeten Lehrer bieten Jugendlichen Hilfestellungen bei einer erfahrungsorientierten und eigenständigen Auseinandersetzung mit der Arbeits- und Berufswelt unter Einbeziehung von Bildungsmöglichkeiten und Bildungswünschen(vgl. DICHATSCHEK 1989, 49-57).

Ab dem Schuljahr 1994/95 wurde an vier Pädagogischen Akademien(PA) ein Zusatzstudium/Drittfach eingerichtet. Eine Besonderheit in der Lehrerbildung der APS stellte in Tirol der Lernverbund von PI und PAs dar, in dem Lehrbeauftragte der drei lehrerbildenden Institutionen(PI des Landes Tirol, PA des Bundes in Tirol und PA der Diözese Tirol) zusammenarbeiteten. 1993/94 wurde hier mit einem allgemeinen Betriebspaktikum für studierende im 2. Ausbildungsemester der HS und ASO begonnen. Die darauf folgenden Ausbildungslehrgänge - als Ergänzungsfach an den PAs konzipiert - bauen auf diesen Erfahrungen auf.

Abb. 6: Lehramt für Berufsorientierung(APS: HS/PTS)

AUSBILDUNGSGANG

4 Qualifikationsbereiche:

1. Einführung in den Fachbereich - Berufsorientierung als Entwicklungsprozess
2. Möglichkeiten der Schul- und Berufsausbildung - Kooperation im Fachbereich
3. Der Mensch in der Arbeits- und Berufswelt - Arbeitsmarkt
4. Fachdidaktik-Methodik-Realbegegnungen

Realbegegnungen

Grund- und Weiterbildungsseminar
Dokumentation des Betriebspraktikums und eines schulbezogenen Projekts

Vor- und Lehramtsprüfung

Mit dieser Verbesserung der Lehrerbildung wird dem in anderen Ländern Europas vollzogenen Trend, vermehrt eine Orientierung über berufliche Bildungsmöglichkeiten und die Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt in allgemeinbildenden Schulen in die Lehrerbildung zu integrieren, auch in Österreich Rechnung getragen. Kooperationsformen zwischen Schule, Wirtschaft und AMS erhalten dadurch einen neuen Stellenwert. Die Multiplikatorwirkung dieses neuen Lehrertyps muss hoch eingeschätzt werden.

1.3 Lehrerbildung in der AHS    

Eine universitäre Ausbildung für ein Lehramt in Berufsorientierung gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht. Hochschullehrgänge des Instituts für interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der Universitäten Klagenfurt, Wien, Innsbruck und Graz (IFF) werden immer wieder angeboten, die die Thematik von Berufswahl und Laufbahnberatung betreffen. Schwierigkeiten einer Absolvierung solcher Hochschullehrgänge ergeben sich bei der zunehmenden Ökonomisierung und Beurlaubungspraxis von Lehrkräften.

2 Vorberufliche Bildung - Universität    

Im Regelfall ist heute ein Universitätsstudium eine berufsbezogene Ausbildung, zumeist ein Bestandteil einer solchen Ausbildung. Das Humboldtsche Ideal eines Studiums mit dem Ziel der Vervollständigung der Allgemeinbildung hat angesichts der heutigen hohen Anforderungen an die Berufsqualifikationen seine Geltung eingebüsst. Aus diesem Verständnis heraus beschäftigt sich die Erziehungswissenschaften im Teilbereich Berufspädagogik auch mit vorberuflicher Bildung als Hinführung zur Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt und einer Orientierung über berufliche Bildung.

Am Beispiel des Instituts für Erziehungswissenschaften der Universität Wien werden die beiden Lehrveranstaltungen des Autors dieses Beitrages als Weiterführung des Fachbereiches in der Sekundarstufe II vorgestellt.

Abb.7: Vorberufliche Bildung - Universität Wien/Studienjahr 2002-2003

LEHRVERANSTALTUNG "VORBERUFLICHE BILDUNG I UND II" - WS und SS
Vorberufliche Bildung I(VO)Vorberufliche Bildung II(SE)
BerufswahltheorienVorberufliche Bildung in dem AMS/Wirtschaft:
Einführung in das Fach mit
Teilbereichen
Jugend- und Maturantenberatung
 Migrantenberatung
 Realbegegnungen
Berufsinformationszentren/BIZ-Exkursion
 Lehrerbildung

3 Vorberufliche Bildung durch das AMS    

Zu den Aufgaben des AMS gehört es, Ratsuchende zu informieren und zu orientieren. Unter Berufsorientierung in diesem Sinne versteht man alle Maßnahmen und Mittel, die den Ratsuchenden mit Eltern, Lehrer und interessierte Gruppen vorrangig informieren.

3.1 Themen und Inhalte    

In einer solchen vorberuflichen Bildung sind alle Faktoren und Bedingungen, die Einfluss auf eine Schul- bzw. Berufswahl haben, thematisch und inhaltlich zu bearbeiten:

3.2 Zielsetzungen und Zielgruppen    

Vorberufliche Bildung will dazu beitragen, die Berufswahlkompetenz Jugendlicher zu fördern, die nach BUSSHOFF so beschrieben werden kann(vgl. BUSSHOFF 1989, 66-69):

Stufe 1: Wahrnehmung der Berufswahl als Aufgabe

Stufe 2: Analyse des Problemgehaltes - Entwicklungen eines Selbstkonzepts und verschiedener

         Problemlösungsmethoden

Stufe 3: Entdeckung von Selbstbestimmungschancen/realistischer Einschätzung der Berufswahlsituation

Stufe 4: Ausarbeitung von Handlungsmöglichkeiten und -alternativen

Stufe 5: Verantwortung der Handlungsentscheidung und

Stufe 6: Realisierung der Berufswahlentscheidung

Bei der Verwirklichung des Zieles, diese (Berufswahl-)Kompetenz zu fördern, arbeiten Jugendberater, Eltern und Lehrer zusammen. Die Orientierungsangebote wenden sich demnach an Jugendliche/Ratsuchende, Eltern und an junge Erwachsenevor vor der Berufswahl: Schüler der Sekundarstufe I und II, Lehrlinge und Universitäts- bzw. Fachhochschulabsolventen während ihrer Erstausbildung. Weitere Zielgruppen sind Lehrer, Sozialarbeiter und andere Betreuer Jugendlicher/Ratsuchender(z.B. Bewährungshelfer).

3.3 Veranstaltungsformen    

Vorberufliche Bildung im Rahmenes des AMS will ihre Klienten anregen, die eigene Schul- bzw. Berufswahl gründlich vorzubereiten und dabei selbstständig und planend vorzugehen(vgl. als Lernform das antizipierende Lernen). Dafür bieten die Berater verschiedenste Formen an.

Abb. 8: Maßnahmeformen der Beratung

MASSNAHMEFORMEN DER JUGENDBERATUNG

3.4 Schriften zur Berufswahl    

Neben dem personellen Angebot der Beratung gibt es zur Ergänzung eine Reihe von berufskundlichen Schriften. Entsprechend der Zielsetzung gibt es Unterschiede:

3.5 Kooperationsformen in der Jugendberatung    

Der wichtigste Partner der Jugendberatung ist die Schule mit den Schülern, Eltern und Lehrern (Berufsorientierungslehrer und Schüler- bzw. Bildungsberater), weil hier gezielte und kontrollierte Lernschritte in einer vorberuflichen Methodik und Didaktik durchgeführt werden können. Ebenso arbeitet die Jugendberatung mit der Wirtschaft und den Universitäten - hier in Form der Maturanten- und Jungakademikerberatung - zusammen.

Der Auftrag der Jugendberatung zu einer vorberuflichen Bildung ist immer der Anlass, mit Stellen zusammenzuarbeiten, die das Umfeld des Ratsuchenden - sozial und/oder wirtschaftlich - kennen und bei einer Erst- oder Folgewahl mitwirken. Dazu zählen die Sozialpartner, Träger der Sozialhilfe und andere spezifische Beratungsinstitutionen (u.a. Mädchenberatung, Bewährungshilfe, Ausländerberatung).

4 Studienberatung    

Studieninteressenten haben es heute unvergleichlich schwerer als früher, Studienentscheidungen zu treffen. Zusätzliche Desorientierung schafft die ständige widersprüchliche Behandlung in den Medien von studienbezogenen Themen (vgl. Studiendauer, "zukunftssichere Studiengänge", "Karriereratgeber").

Studienberatung ist ein Kürzel für Studien- und Studentenberatung im Rahmen der Universität/Fachhochschule. Wichtigste Elemente sind dabei:

Zunehmende Bedeutung erlangen private bzw. halböffentliche Institutionen zur Karriereplanung von Studierenden, die nach dem Vorbild angelsächsischer Carrier-Centers arbeiten.

5 Berufsinformationszentren (BIZ) - Jugend-, Maturanten- und Studienberatung des AMS und der Wirtschaftskammern/WIFI    

Die Berufsinfomationszentren des AMS und der Wirtschaftskammern erweitern in einer Schlussphase des Schulwahl-, Studienwahl- bzw. Berufswahlprozesses das Angebot mit der Möglichkeit, Eigen- und/oder Gruppeninformation mit Hilfe von Medien unter Anleitung eines Beraters zu erhalten. BIZ wenden sich vor allem an Heranwachsende vor der Schul- bzw. Berufswahl, auch an Eltern und Lehrer sowie an alle Arbeits- und Ratsuchenden, besonders bei einer Umschulung oder Umorientierung in andere Tätigkeitsbereiche, Branchen oder Berufe.

Die BIZ-Ratsuchenden bestimmen selbst den Zeitpunkt, die Dauer und Auswahl der Medien (Mappen, Prospekte, Filme und Videos - Internet). Der Mitarbeiter stellt Informationen und Medien vor und zur Verfügung und hat Übung, in die Nutzung einzuschulen. BIZ-Einrichtungen fördern die Eigeninitiative der Ratsuchenden. Neben einer Nutzung dieses Angebots für den Berufswahlunterricht dienen solche Zentren auch der Hilfestellung bei Erkundungen und der Vorbereitung bzw. Verwendung für berufspraktische Tage/Wochen. Damit ist ein wesentlicher Schritt zu einer Intensivierung verschiedenster Möglichkeiten in der vorberuflichen Bildung getan.

6 Berufswahl benachteiligter Jugendlicher    

Die Ausbildungs- und Arbeitsmarktlage für Jugendliche und junge Erwachsene während der achtziger Jahre war durch Defizite an Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsstellen auf dem Hintergrund geburtenstarker Jahrgänge gekennzeichnet. Derzeit hat sich der Ausbildungsmarkt umgekehrt. Es werden mehr Ausbildungsstellen angeboten als Bewerber nachfragen. Branchenspezifisch gibt es mitunter einen Lehrstellenmangel.

Gleichwohl gibt es Jugendliche, die unabhängig von der Ausbildungsmöglichkeit auf Grund individueller Gegebenheiten benachteiligt sind. Sie haben schwierige Ausbildungssituationen und finden im Anschluss daran schwer eine Ausbildungs- bzw. Arbeitsstelle.

Spezifische Problematiken ergeben sich bei der Schul- bzw. Berufswahl solcher Heranwachsender. Eine Benachteiligung ist relativ, sie ist jedenfalls in Relation zu regionalen, strukturellen und technologischen Entwicklungen zu sehen und muss zu unterschiedlichen Anforderungs- und Auswahlkriterien sowie Strukturen und Situationen der Ausbildungsstätten (Schule - Betriebe) gesetzt werden.

In der Berufspädagogik wird seit 1980 eher von "benachteiligten Jugendlichen" gesprochen. Hinter diesem Sammelbegriff in der sozialwissenschaftlichen Diskussion versteckt sich eine Vielzahl von individuellen, sozialen und situativen Merkmalen bei Jugendlichen, wobei Formen und Ausprägungen höchst unterschiedlch sein können, sich überschneiden und auch häufen können. Betroffen davon sind zunächst ausländische Jugendliche, lernbehinderte Auszubildende, sozial Benachteiligte unabhängig vom Schulabschluss und alle Arten der Behinderten. Auch "Marktbenachteiligte", wenn also keine betriebliche Ausbildung ermöglicht werden kann, fallen in diese Gruppe.

Da es eine heterogene Gruppe von benachteiligten Heranwachsenden gibt, ist auch eine spezifische Berufswahltheorie oder Vorgangsweise für solche Berufswähler nicht vorhanden. Es gibt beobachtbare Umstände und Vorgehensweisen bei Teilgruppen, die mit vergleichbaren Altersgruppen mit Normvorausetzungen in Relation zu setzen sind. Jedenfalls hat das Sozialisationsfeld - Elter und soziale Schichtung - Einfluss auf die Schul- bzw. Berufswahl. Längsschnittuntersuchungen belegen - differenziert nach sozialer Herkunft - eine überdurchschnittlich hohe Rate an fehlender Berufsausbildung bei Jugendlichen, deren Väter als un- bzw. angelernte Arbeiter tätig sind. Eltern von sozial benachteiligten Kindern verfügen oftmals nur über wenige für den Berufsfindungsprozess so wichtige Informationen und Vorgangsweisen, um Überlegungen ihrer Kinder unterstützen zu können (vgl. HURRELMANN-ULICH 1991, 408-410). Zu beobachten sind irrationale Ratschläge, Überschätzungen der schulischen Situation bei gleichzeitig hoher Schwellenangst vor dem Einholen spezifischer Beratung, so dass der Prozess der Schul- bzw. Berufswahl erschwert wird (vgl. BUNDESANSTALT FÜR ARBEIT, Handbuch für Berufswahlvorbereitung, Nürnberg 1992, 141-142).

Die Gruppe der Mädchen/jungen Frauen ist eine spezifische und wird zunächst im folgenden Kapitel 5.1 ausführlich behandelt. Bemerkungen zur politischen Bildung/Erziehung sind im Kapitel 6.3.1 vorzufinden. Kapitel 5.2 bespricht die besonderen Aspekte ausländischer Jugendlicher bei der Berufswahl und den Teilbereich der gesellschaftlichen Entwicklung türkischer Gastarbeiter zu einer heutigen westeuropäischen Minderheit.

6.1 Benachteilungsaspekte von Mädchen    

Bei gesellschaftspolitischen Zuständen, für die niemand sich zuständig fühlt, wird gerne der Ruf nach dem Bildungsauftrag der Schule laut. Politische und gesellschaftliche Defizite werden zu Bildungsproblemen umdefiniert. Zudem werden sie denen mitunter angelastet, die häufig darunter leiden. Dies scheint besonders bei der Diskrepanz zwischen dem Gleichheitsgrundsatz und einer beruflichen Benachteiligung von Frauen/Mädchen der Fall zu sein. Die "Schule" wird aufgefordert, das Bildungsdefizit von Mädchen/Frauen abzubauen, je nach Wünschen und womöglich nach Bedarf soll die Familienordnung von Mädchen gefördert/reduziert, eine Berufsmotivation gezügelt/geweckt und Mädchen in Handwerksberufe gelenkt werden. "Schule" soll auch gegen die "Technikdistanz" von Mädchen etwas unternehmen.

Es geht im Wesentlichen um einen Abbau der Benachteiligungen von Mädchen/Frauen am Berufs-, gesellschaftlichen und politischen Leben. Man hat es mit einem klassischen Thema politischer Bildung/Erziehung zu tun. Ein solches gesellschaftspolitisches Thema benötigt Mittel der Gesellschaftspolitik, d.h. es geht um Quotierungsprobleme, Frauenförderung und Umverteilung/Umbewertung gesellschaftsrelevanter Arbeit. Hier ist schulische Berufsorientierung auch gefordert, weil

6.1.1 Aspekte eines Berufsfindungsprozesses von Mädchen    

Zunächst erscheint eine Veränderung der schulischen Bedingungen unnötig: Mädchen/Frauen haben kaum Bildungsdefizite(vgl. u.a. FISCHER-KOWALSKI/SEIDL u.a. 1986, 80-106). Mädchen/Frauen haben gute - wenn nicht bessere - Abschlüsse als Knaben. Die jahrelange Diskussion von einer "Berufsnot Jugendlicher" ist einer Diskussion um den Lehrlings- und Facharbeitermangel gewichen. Übersehen werden gerne Jugendliche ohne Ausbildung und regionale und berufsbezogene Engpässe. Man wirbt intensiv - je nach Notwendigkeit - um einen Nachwuchs in handwerklichen Berufen und spricht in diesem Zusammenhang die Zielgruppe der Mädchen an(vgl. die "Girlie Days" der Wirtschaftskammern nach US-Vorbild). Gelobt werden die Führungsqualitäten von Frauen(vgl. CAPITAL 9/89, 262). Man liest, dass Betriebe keine oder zu wenig Rücksicht auf familiäre Verpflichtungen der Mitarbeiterinnen nehmen. Zur Diskussion steht - mitunter als sehr heftig geführter öffentlicher Diskurs - der Brückenschlag Beruf - Familie - Freizeit, wie der Diskurs im Sommer 2003 gezeigt hat.

Dagegen stehen zwei Gegenthesen, die zur Diskussion gestellt werden:

Berufliche Mobilität wird auch von jungen Leuten gefordert und ist erforderlich. Dass damit neue Gruppierungen von Benachteiligungen geschaffen werden, die bereits in der Schule davon wissen, sollte festgehalten werden.

Neben Eignung und Neigung ist das Wissen von Einstiegsbedingungen, Entwicklungstendenzen und das Verwertenkönnen von erworbenen Qualifikationen bedeutsam.

Mädchen werden im Berufsfindungsprozess neben dem Wandel der Qualifikationsanforderungen und beruflichen Perspektiven auch mit geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, einengenden Geschlechtsstereotypen, mit widersprüchlichen Verhaltensanforderungen und mitunter diskriminierenden Ausgrenzungen konfrontiert(vgl. Mobbing in der Schule und Arbeitswelt > www.tolerantschools.org). Mädchen wollen aber einen qualifizierten Beruf, der Spaß macht und Perspektiven eröffnet. Sie wollen unabhängig und selbstständig sein und ihre Rechte einfordern können. Berufsausbildung steht an erster Stelle ihrer Lebensplanung. Somit kann auf schulische Berufsorientierung als Motivationsschub für Mädchen schon auch deshalb nicht verzichtet werden. Die teilweise Auflösung traditioneller weiblicher Lebensmuster hat eine stärkere Individualisierung und Ausdifferenzierung der beruflichen Biographien von Mädchen/Frauen mit sich gebracht. Folglich kam es zu einem verstärkten Anspruch auf Selbstbestimmung und eigene Existenzsicherung. Zugleich kommt eine verstärkte Konkurrenz zwischen Abgängerinnen verschiedener Schultypen und Unausgebildeten sowie jungen und alten Frauen. Für kinderlose Frauen eröffnen sich bessere Berufs- und Karrierechancen. Die Mehrheit der Mädchen/Frauen bleibt allerdings beruflich gefährdet, teilweise ungeschützt und in der Regel doppelbelastet.

Tendenziell stößt man beim Übergang von der Schule in die Arbeits- und Berufswelt auf Schwierigkeiten: Beim Einlösen von Ansprüchen, die an die Berufswelt gestellt wreden, stehen nur begrenzte Handlungsräume zur Verfügung. Im Vordergrund stehen marktwirtschaftliche Verwertungsinteressen mit an männlichen Berufsvorstellungen gekoppelten Erwartungen, die sich am vorherrschenden Weiblichkeitsbild orientieren(vgl. FRAKELE-LIST-PAURITSCH 1987, 257-259). Trotz der besseren schulischen Abschlüsse haben Mädchen größere Schwierigkeiten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Mädchen sind auch zu hoch in der Gruppe der Jugendlichen ohne Ausbildung vertreten.

Im dualen Ausbildungssystem - "Lehre"/betriebliche Ausbildung und Berufsschule - steht Mädchen ein enges, im Vergleich zu Knaben völlig unterschiedliches Berufsspektrum zur Verfügung. Mädchen werden nach wie vor in traditionellen Frauenberufen ausgebildet. Ein- und zweijährige weiterführende Schulen - man denke an Haushaltung- und Hauswirtschaftsschulen - mit kaum verwertbaren Abschlüssen werden weiterhin besucht. Man orientiert sich in der heutigen Gesellschaft - mit EU-Ansprüchen - noch auf die ausschliessliche Rolle als Haus- und Familienfrau. In der Folge erzeugt man bei solchen Orientierungsmustern ein hohes Übergangsrisiko bei einem Berufswechsel. Ebenso behindern geringere Verdienstmöglichkeiten eien Existenzsicherung und lassen Frauen als prädestiniert gelten, während der Familienphase die Berufstätigkeit zu unterbrechen, weil es sich ökonomisch besser rechnet, wenn man aussteigt.

Derzeit stellt sich eine Alternative Frauen- oder Männerberufe nicht. Ganze Berufsbereiche mit überwiegender Frauenbeschäftigung verschwinden oder sind von Rationalisierungsmaßnahmen bedroht. In Berufsfeldern mit Technik und arbeitsorganisatorisch neuer Gestaltung sind Frauen/Mädchen verschärfter Konkurrenz ausgesetzt, man denke an Verwaltung und Management. Modellversuche wie "Töchter können mehr" haben ernüchternd gezeigt, wie realistisch Einschätzungen vorgenommen werden. Unbestritten können heute Mädchen/Frauen mehr Qualifikationen erreichen,, die ihnen früher verschlossen blieben. Unbestritten ist ebenso das hohe arbeitsinhaltliche Interesse der Mädchen, die in gewerblich-technischen Bereichen ausgebildet werden(möchten).

Die bisher aufgezeigten Problembereiche zeigen nur eine Seite des weiblichen Berufsfindungsprozesses. Die andere Seite wird zumeist verschwiegen oder negativ gegen Mädchen gerichtet. Junge Frauen der neunziger Jahre und des beginnenden 21. Jahrhunderts wollen Beruf und die Verwirklichung privater Vorstellungen in Freizeit und Familie. Diese "doppelte Orientierung" ist empirisch abgesichert und dokumentiert den Anspruch, beide Lebenspraxen zu vereinbaren - übrigend auch ein Anspruch, den gleichaltrige männliche Jugendliche vertreten(vgl. JUGEND 2000 - 14. Shell Jugendstudie, Frankfurt/M. 2002, bes. 86-90). Die Differenzierung liegt darin, dass Mädchen Vorstellungen haben, in denen das eine das andere ausschließt.

Nur Mädchen werden gezwungen, über Verzicht oder Doppelbelastung nachzudenken. Im Berufsfindungsprozess der Mädchen verschärfen sich die Probleme. Bei Knaben stehen im Mittelpunkt ihres beruflichen Sozialisationsprozesses die Konzentration auf Berufschancen, Einkommen und Karriere. Mädchen haben dagegen widersprüchliche Verhaltenserwartungen. Sie sollen einerseits die Aufgabe der sozialen Reproduktion im familiären Bereich übernehmen und andererseits ihren Anteil an Erwerbsarbeit mitgestalten. Einserseits diktiert der Erwerbsmarkt, andererseits wird ihnen sofort unterstellt, bei Familiengründung diese Maßstäbe langfristig nicht erfülllen zu können/wollen. In dieser Situation darf es nicht erstaunen, dass Mädchen sich am traditionellen "Drei-Phasen-Modell" Ausbildung-Beruf-Familie orientieren. Eine Mehrheit der Mädchen akzeptiert einerseits die den Frauen zugesprochene Verantwortlichkeit für den privaten Bereich, andererseits ergeben sich aus der Emanzipation Ideologien, die sich in einer Absage an der Mutterrolle zeigen.

Eine doppelte Orientierung der Mädchen lässt auch als Kritik an der Organisation der Erwerbsarbeit auffassen, die sich nur an ökonomischen Kriterien orientiert und Aufstieg und beruflichen Erfolg nur denjenigen ermöglicht, die keine außerberuflichen Verpflichtungen eingehen.

6.1.2 Lehrplanarbeit für beide Geschlechter    

Unterstützung bei der Lösung dieser vielfältigen Orientierungsprobleme, die hier beschrieben werden, finden Mädchen beim Übergang von der Schule in die Berufswelt kaum. Zwar haben sich in den letzten Jahren die Lehrpläne geändert - vgl. dazu den Interhinweis www.gemeinsamlernen.at - und emanzipatorische Unterrichtsinhalte fließen in die einzelnen Unterrichtsgegenständ ein, explizite Lehr- und Lernziele sind besonders im schulischen Fachbereich "Berufsorientierung", "Deutsch", "Geographie und Wirtschaftskunde" und "Geschichte und Sozialkunde" enthalten. Kaum ein Mädchen hat die Schule durchlaufen, ohne solche Unterrichtseinheiten nicht wenigstens durchgespielt zu haben, aber gesellschaftliche Hintergründe bleiben zumeist auf der Strecke und/oder werden kaum hinterfragt. Das traditionelle Frauenbild schlägt durch, die Orientierung und die Interessen der Knaben gelten als vorrangig(vgl. SCHUDY 2002, 125-141).

Derzeit vorliegende Konzepte schulischer Berufsorientierung - Berufswahlunterricht; Realbegegnungen/bes. Erkundungen, Projekte und berufspraktische Tage/Wochen; Beratung - erscheinen im Allgemeinen geschlechtsneutral. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass Widersprüche bei der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der spezifische weibliche Berufsfindungsprozess kaum berücksichtigt werden. Doppelte Orientierung, Berufsunterbrechung, Probleme des Wiederseinstiegs und Versorgung von Kindern neben der Berufstätigkeit sind kaum Themen schulischer berufspädagogischer Bemühungen. Strukturelle Probleme werden implizit personalisiert und als individuelle Aufgabe der Frau deklariert. So lernen Mädchen über den "(un-)heimlichen" Lehrplan, dass männliche Berufsprobleme wichtiger und dominanter sind. Sie(müssen)lernen, sich in hierarchischer Geschlechtsverteilung einzuordnen und Widersprüchen mit individuellen Lösungen zu zu begegnen(vgl. METZ-GLÖCKEL 1987, 455-474).

6.1.3 Ansätze für eine veränderte schulische Berufsorientierung    

Schulische Berufsorientierung - unabhängig von Schulstufen und Schularten - ist dem Gleichheitsgebot des Bundes-Verfassungsgestezes verpflichtet und hat daher zum Abbau von bestehenden Benachteiligungen von Mädchen(und Knaben) beizutragen. Ebenso geht es um den Abbau von einseitigen und unzureichenden Erklärungsversuchen und -zusammenhängen.

Ziele schulischer Berufsorientierung zur Erweiterung einer individuellen und kollektiven Handlungsfähigkeit von Mädchen(und Buben):

Didaktische Bezugspunkte

Vorschläge von problem- und handlungsorientierten Themeneinheiten

Projekt "Mädchen und Berufsfindung" mit folgenden Themeneinheiten:

Vorschläge von themenzentrierten und projektorientierten Erkundungen/berufspraktische Tage

Abb. 9: Bildungspolitische Maßnahmen

BILDUNGSPOLITISCHE MASSNAHMEN ZUR ERREICHUNG VON KOMPETENZEN FÜR EINE GLEICHBERECHTIGUNG DER GESCHLECHTER

6.1.4 Zusammenfassung    

Ein noch so gutes didaktisches Konzept zur Berufsorientierung verändert nicht den geschlechtspezifischen Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Gesellschaftliche Defizite dürfen nicht den Jugendlichen angelastet werden. Schulische Berufsorientierung kann dazu beitragen, dass sich Mädchen nicht als Objekte von bestimmten Zwängen der Berufswelt erfahren, sondern vielmehr als Subjekte ihrre persönlichen Lebensverhältnisse bestimmen. Viele Fragen, die nicht durch einen Berufsorientierungs-, Deutsch-, Geographie- und Wirtschaftskunde- und Geschichte - und Sozialkundeunterricht in Verbindung mit politischer Bildung/Erziehung und vorberuflicher Bildung/Erziehung beantwortet werden können, lassen sich durch mehr Wissen und die Erkenntnis, dass die Arbeits- und Berufswelt von Menschen nach bestimmten Interessen und Möglichkeiten gestaltet wird, besser in den Griff bekommen. Für einen solchen Lern- und Erkenntnisprozess im Rahmen einer längerfristigen Berufsfindung/Schulwahl ist das schulische Repertoire vorberuflicher Bildung/Erziehung notwendig, weil

Eine Aufwertung einer solchen Berufsorientierung - derzeit als verbindliche Übung in der Sekundarstufe I und als unverbindliche Übung/ AHS-Oberstufe in der Sekundarstufe II - erscheint (mehr als) gerechtfertigt (vgl. DICHATSCHEK 1998, 493-497).

6.2 Benachteiligungsaspekte von ausländischen Jugendlichen    

Mehr als die Hälfte der jungen Frauen und beinahe 50 Prozent der jungen Männer ausländischer Nationalität, die heute zwischen 20 und 30 Jahre alt sind und in Österreich leben, haben keinen beruflichen Ausbildungsabschluss. Ein Teil dieser Gruppe ist arbeitslos, ein Teil ist auf dem grauen Markt der Gelegenheitsarbeiten und ungesicherter Beschäftigungsverhältnisse oder arbeitet als Ungelernte. Gerade für Ausländer ist aber die abgeschlossene Berufsausbildung eine fast unabdingbare Garantie für einen Arbeitsplatz.

Alle verfügbaren Daten weisen darauf hin, dass gerade junge Türken besonders von der Arbeitslosigkeit betroffen sind. Alle ausländischen Jugendlichen haben eine deutlich geringere Chance auf dem Arbeitsmarkt. Besonders problematisch ist die Situation ausländischer Mädchen. Obwohl sie bei der Wahl der Schulform und bei der Benotung erfolgreicher abschließen, ist ihre Ausgangssituation im Bergleich zu österreichischen Mädchen und ausländischen Knaben deutlich schlechter.

Für die Benachteiligung ausländischer Schüler sprechen die schlechteren Sprachkenntnisse, ihre niedrige Zahl an AHS und BHS, die große Zahl derer, die keinen regelmäßigen und für Ausländer spezifischen Berufswahlunterricht in der Sekundarstufe I besuchen und die geringe Zahl der Lehrlinge mit Lehrabschluss. Dazu kommt in der Regel ein anderes Berufswahlverhalten, das ein Teil ausländischer Jugendlicher besitzt. Oberflächlich sind die Berufswünsche ähnlich denen österreichischer Jugendlicher, die Gründe für die Bevorzugung oder Ablehnung bestimmter Berufe sind jedoch anders, wobei bei der Berufswahl noch andere Faktoren zum Tragen kommen: frühe Heirat, Religion, Gesellschaftsrolle, Heimkehr, Verdienstmöglichkeiten und Selbstwertgefühl/Ehre der Familie.

Die geringeren Ausbildungsquoten verlangen über die bisherigen Aktivitäten hinaus zusätzliche Bemühungen von Institutionen und Personen(-gruppen), die am Berufsfindungs- und Berufswahlprozess beteiligt sind. Dies gilt besonders für die Bereiche der

Zu beachten ist jedenfalls bei allen berufsorientierenden Maßnahmen für Jugendliche ausländischer Herkunft die Gefahr von Aversionen und Vorurteilen auch bei jenem Teil der Bevölkerung, die sich bisher mit dieser Thematik kaum oder gar nicht beschäftigt haben.


Vom Gastarbeiter zur Minderheit - Türken in Deutschland
EU-Vergleich

Rund 3,5 Millionen türkische Staatsbürger leben derzeit - verteilt in Europa, Nordafrika, im Mittleren Osten, Saudi-Arabien und Australien - im Ausland. Die Mehrheit davon - etwa 3 Millionen - ist in Europa, von denen wiederum der größte Teil in Deutschland lebt(1997: 2 107 426). Die nächstgroße Gruppe von türkischen Staatsbürgern lebt in Frankreich, gefolgt von den Niederlanden und Österreich.

Die eigentliche Migration erfolgte ab 1961 mit dem Anwerbeabkommen mit Deutschland, weitere Verträge wurden 1964 mit den Niederlanden, Belgien und Österreich, 1965 mit Frankreich und 1967 mit Schweden abgeschlossen. Von Anfang an betrachtete die Türkei die Migration als wirtschafts- und innenpolitisches Mittel, Problembereiche aufzufangen. Dementsprechend bemühte man sich auch nicht um eine Migrationspolitik, wobei kulturelle, wirtschaftloche, soziale und gesellschaftlioche Probleme einer Migration beachtet wurden. "Eine Hilfestellung für die Arbeitnehmer selbst blieb aus"(CIGDEM-ÖZBEK-SEN 1998, 305). Mitte der siebziger Jahre kam es zur Nachhoung der Familienangehörigen, mit dem Nachzug änderten sich die Lebensbedingungen, insbesondere kam es zu einer besseren Ausbildungsmöglichkeit der Kinder. Damit verschoben viele Migranten eine Rückkehr in die Türkei. Als Folge der Erdölkrise 1973 kam es zu einem Aufnahmestopp ausländischer Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten. Zu Beginn der achtziger Jahre begann man die Rückkehrbereitschaft zu fördern, immerhin erreichte die Rückkehrerquote zwischen 1981 und 1984 fast 15 Prozent. Ein erheblicher Teil der zweiten Generation, der hier Schule und Berufsausbildung absolvierte, möchte gar nicht mehr oder erst in ferner Zukunft in die Türkei zurückkehren. Daher stehen türkische Pensionisten vor der Wahl, entweder allein in die Türkei zurückzukehren oder in Europa zu bleiben.

Zu beachten ist auch, dass die ältere Generation immer weniger nahestehende Verwandte in der Türkei hat. Soziale Kontakte mit der Heimat haben sich abgeschwächt, die jüngere Generation hat ihren Freundeskreis hier aufgebaut. Sieht man sich die Aufenthaltsdauer der Türken an, so hat ein Großteil der ersten Generation mehr als die Hälfte ihres Lebens hier verbracht, für die zweite und dritte Generation, die hier geboren wurde, gibt es kein anderes Land, dessen Alltag, Lebensweisen und gesellschaftliche Strukturen man kennt.

Dass dennoch Türken sich eine Rückkehroption in ihre Heimat offen lassen, ist mit ihrer Gefühlswelt und der mitunter großen Isolierung in Westeuropa zu erklären(1999: Rückkehrerquote 2,3 Prozent). Ein ebenfalls wichtiger Grund für den Aufenthalt in Westeuropa sind die Entwicklungen in der Türkei. Die starken Veränderungen lassen vielen Migranten ihre Heimat fremd erscheinen. Viele Migranten stehen vor dem Phänomen einer doppelten Fremdheitserfahrung, die sie oftmals zum Bleiben bei der Familie veranlasst. Hinzu kommen noch die inzwischen perfekten Kommunikationsmedien: Telefon und TV, zeitgleich im Informationsstand mit den Verwandten. Nicht zu übersehen sind auch, durch den gewachsenen Wohlstand, häufigere Besuche der türkischen Migranten in ihrer Heimat. Eine türkische Infrastruktur in Deutschland ermöglicht und erleichtert gruppenspezifische und bedürfnisorientierte Angebote für den Alltag: Organisationen, Moscheen, Freundeskreis, Geschäfte, Lebensmittel und kulturelle Angebote.

Neben dem Verbleiben türkischer Migranten in den Gastländern Westeuropas will die Türkei nicht auf die engen Bindungen der Migranten zu ihrer Heimat verzichten, zumal man finanziell profitiert. Wirtschaftliche Kooperationen - man denke hier besonders an den Tourismus und Handel, aber auch an die Wissenschaft - und der politischer Wille, Europa näher zu kommen - man denke hier an einen möglichen EU-Beitritt(wobei die Türkei im Europarat und der NATO schon lange politische Beziehungen zu Europa hat) - bestimmen das Verhältnis zum Land.

Jene Benachteiligungen, denen Ausländer aus Nicht-EU-Staaten ausgesetzt sind, basieren besonders auf Einschränkungen politischer Mitbestimmung. So fordern türkische Selbstorganisationen ein kommunales Wahlrecht in Deutschland. Ein EU-Bürger mit mindestens dreimonatiger Aufenthaltsdauer darf nach den Maastricht-Verträgen an Kommunalwahlen teilnehmen, ein türkischer Staatsbürger mit 36 Jahren Aufenthalt in Deutschland hat als Nicht-EU-Bürger kein kommunales Wahlrecht. In der Literatur der politischen Bildung wird daher auch von dieser Widersprüchlichkeit gesprochen und der Begriff Dreiklassengesellschaft mit unterschiedlichen Rechten verwendet: den deutsche Bürgern, den Unionsbürgern und den Drittstaaten-Angehörigen. In Deutschland stammen etwa zwei Drittel der ausländischen Migranten aus Drittstaaten, womit der Grad der Ungleichbehandlung deutlich wird.

Die dzt. ohne Ergebnis geführten Diskussionen um eine Doppelstaatsbürgerschaft zeigen eine weitere Härte. Das größte Hindernis für einbürgerungswillige Türken war bislang die Weigerung des türkischen Staates, seine Bürger aus der Staatsangehörigkeit zu entlassen. Zu beachten sind auch daraus entstehende Nachteile im Erbrecht, Pensionsrecht und beim Erwerb von Grund und Boden. Psychologisch gibt es das Problem, dass eine Aufgabe der türkischen Staatsbürgerschaft gleich einem Verzicht der kulturellen Identität empfunden würde. In diesem Zusammenhang wird man die steigende Fremdenfeindlichkeit beachten müssen, denn im schlimmsten Fall besteht dann noch die Möglichkeit einer Rückkehr.

Trotz der vielen positiven Ansätze einer Integration von Türken in Deutschland, "[...]ist das Land auf dem Weg in eine multikulturelle Gesellschaft ins Stolpern geraten. Für die Bundesrepublik ist zur Zeit eher eine bikulturelle Gesellschaft zu konstatieren, in der sich die Türken wie die anderen ausländischen Bevölkerungsgruppen mit einer relativ eigenständigen sozialen und politischen Infrastruktur eingerichtet haben........Obwohl sie zur Heimat ihrer Eltern nur flüchtige Bindungen haben, die deutsche Sprache in den meisten Fällen besser sprechen als die türkische und sich in Deutschland zu Hause fühlen, wurden und werden sie als Ausländer behandelt. Ihre Andersartigkeit und Nichtzugehörigkeit zur deutschen Gesellschaft sowohl aufgrund gesetzlicher Rahmenbedingungen als auch unterschiedlicher Verhaltensweisen werden immer betont. Diese Situation löste bei vielen Jugendlichen einen 'Identitätssucheprozess' aus.........Die Jugendlichen suchten in der 'eigenen Kultur' oder in der ihrer Eltern , die die Jugendlichen für sich allerdings anders definierten, Zuflucht. Beispiele dieser äußerlichen Betonung sind die Ketten mit Halbmond und Stern oder aber auch das Kopftuch"(CIGDEM-ÖZBEK-SEN 1998, 312-313). Traditionelle Werte und ein Rückzug aus der deutschen Gesellschaft sind beobachtbare Folgen. Die Migrationsforschung sieht darin Gefahren von Selbstisolierung und zunehmendem Radikalismus.

Am deutschen Arbeitsmarkt sind durch die seit Jahren bestehende Massenarbeitslosigkeit auch gut ausgebildete jungen Türken betroffen. Da türkische Arbeitnehmer in Krisenbranchen besonders vetreten waren, gehören sie zu den Hauptverlierern dieser Entwicklung. Mit einer Quote von 25,9 Prozent lagen sie im März 1997 deutlich über dem Durchschnitt - zum Vergleich: die Arbeitslosigkeit bei deutschen Arbeitnehmern lag bei 11 Prozent.

So bewegt sich die türkische Minderheit zwischen Integration und Isolation. Eine zukunftsorientierte Ausländerpolitik könnte den Migranten zeigen, dass sie in der hiesigen Gesellschaft willkommen sind - bei Österreich denkt man an die Bevölkerungsentwicklung um 1900 in der Monarchie - und in der deutschen Mehrheitsgesellschaft ein wirkliches Bild der Situation als Bereicherung darstellen(vgl. DICHATSCHEK 2004, 99-101).


Internethinweis:

http://salzburg.orf.at/stories/169067/

7 Teilbereiche vorberuflicher Bildung    

Mit den drei Bereichen der dualen Ausbildung, dem Umweltschutzgedanken und einer politischen Bildung/Erziehung in der vorberuflichen Bildung/Erziehung - Jugendliche in ihrer persönlichen Berufsentscheidung, Jugendliche als Auszubildende und Arbeitnehmer sowie Jugendliche in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung - sollen diese wesentlichen Teilaspekte den Beitrag abschließen.

7.1 Duale Ausbildung - Lehrlingswesen    

7.1.1 Grundsätzliches zum Lehrlingswesen    

Veränderungsbedarf in der berufliche Erstausbildung entsteht durch einen notwendigen Qualifikationsbedarf, der wirtschaftliche und soziale Gründe hat. Der Veränderungsdruck ist also begründet, weil Ausbildungssysteme nicht am notwendigen Bedarf vorbei produzieren können. Mit dem Strukturwandel der Wirtschaft zu einer fundierten Industrie- und Dienstleistungswirtschaft verändert sich der Ausbildungsbedarf. "In Produktions- und Handwerksberufen hat sich der Dienstleistungsanteil in den auszuübenden Tätigkeiten erhöht, im Handel sind neue Qualifikationen in Richtung des Fachberaters gefordert. Mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel geht der Wegfall von gering qualifizierten Jobs im primären und sekundären Sektor einher. Die Integration von Jugendlichen ohne Ausbildung in die Berufswelt über gering qualifizierte Beschäftigung wird damit immer schwerer. Das Lehrlingswesen gerät dabei unter Erwartungsdruck einer Öffentlichkeit, die faktisch die Vollintegration in Erstausbildung für alle Jugendlichen, die keine schulische Bildung machen können oder wollen, über duale Ausbildungsgänge fordert. Berufliche Integration ohne Ausbildung wird dabei einerseits zur gesellschaftlichen Normabweichung, andererseits strukturell bedingt am Arbeitsmarkt immer schwieriger. Gleichzeitig nimmt die Zahl der angebotenen Lehrstellen ab, die Mindestanforderungen für eine reguläre Erstausbildung in Lehre oder Fachschule steigen tendenziell in Relation zum Bewerberstrom an. Damit sind wesentliche Aspekte von Modernisierungsbedarf angesprochen"(SCHNEEBERGER-NOWAK 2000, 11).

Österreich ist nach wie vor ein Land mit mit relativ hoher Lehrlingsquote(3,4 Prozent - im Vergleich Deutschland und Schweiz mit 5 Prozent). Zu beachten ist der viel stärkere Stellenwert der berufsbildendenen mittleren und höheren Schulen in Österreich(BMS/BHS). Zudem gibt es einen häufigen Wechsel nach dem ersten Jahr einer BMS/BHS sowie der 5. Klasse der AHS in eine duale Ausbildung, der Anteil der Absolventen höherer Schulen - mit Reifeprüfung - ist auffallend gering(1998/99 0,5 Prozent der Lehranfänger). 90 Prozent der Lehranfänger sind in Österreich etwa 15-16 Jahre alt. Damit unterscheidet sich Österreich von den übrigen EU-Ländern mit dualer Ausbildung, besonders Deutschland(auch Dänemark und die Niederlande) hat einen hohen Anteil von Absolventen der mittleren Reife und mit Reifeprüfung("Abitur"/"Matura").

Die Polytechnische Schule(PTS), einjährige(Haushalt, Landwirtschaft)und zweijährige Fachschulen(Hauswirtschaft), teilweise dreijährige landwirtschaftliche Burschenschulen sowie die BHS mit ihren "Abbrechern" sind in der Regel mit ihrer Schülerklientel Zubringer für das duale Ausbildungssystem(vgl. JÄGER 2001; SCHNEEBERGER 2004, 1-4).

Die vollzeitschulische Ausbildung beginnt in Österreich in der 9. Schulstufe und damit im ersten Jahr der Ableistung des letzten Jahres der Schulpflicht, während die Lehrlngsausbildung erst auf der 10. Schulstufe beginnt. Dadurch erklärt sich der Wechsel von den berufsbildenden weiterführenden Schulen in die duale Ausbildung.

Von Interesse ist die Schaffung neuer Lehrberufe mit einem Modernisierungsschub, wobei neben einer inneren Gliederung von Lehrberufen(Modularisierung) auch Branchenspezialberufe eingeführt wurden. Der technisch-wirtschaftliche Wandel benötigt eine Ausbildungsabsicherung für künftige Fachkräfte.

Der Sinn des Modularisierungskonzepts resultiert aus dem Spannungsverhältnis zum Berufsbegriff. Gäbe es nur fertige Berufsausbildungen, die nicht aufteilbar wären, könnte es keine Modularisierung geben. Die Realität ist ein Kompromiss, da Ausbildungen nur mehr in Teilbereichen genau auf einen Beruf ausgerichtet sind. Ausbildungen bedürfen Spezialisierungen in einem Berufsbereich(-feld).

Erwachsenenbildungseinrichtungen bieten verkürzte Lehrlingsausbildungen in Kursform an, wobei die Kurse modularisiert angeboten werden.

Die Ausbildung in Doppellehren/zwei Lehrberufen(1999: 11 Prozent der Lehrlinge)praktiziert seit langem das Modularisierungsprinzip.

Für Jugendliche, die weder eine BMS machen wollen oder können(da kein regionales Angebot vorhanden ist), noch von einem Lehrberechtigten als Lehrling aufgenommen werden, gibt es alternative Angebote: die Anlehre, Vorlehre(1. Lehrjahr zeitlich verlängert), vereinfachte Lehrberufe oder zusätzliche Fachschulen(BMS).

Im EU-Vergleich besteht ein Nachholbedarf bei Teilqualifizierungen. Zertifizierte Ausbildungsteile unterhalb einer vollen Lehrlings- oder Fachschulausbildung haben offensichtlich einen geringen bis gar keinen Stellenwert. Es bleibt daher abzuwarten, welche Rolle die Vorlehre hier spielen kann, denn im Kern geht es um jene Gruppe Jugendlicher, die eine erweiterte soziale und berufliche Integration benötigen, weil sie mit Abschluss der Schulpflicht(15 Jahre/9. Schulstufe)(noch)nicht in der Lage waren, eine Lehrstelle oder einen Fachschulplatz zu erhalten. Die Frage dieser betrieblichen und schulischen Einrichtungsmöglichkeiten bzw. einer rechtlichen Übertrittsmöglichkeit ist noch offen. Die Vorlehre ist derzeit das erste Modell einer Teilzeitqualifizierung in Österreich.

Diskussions- und beschlusswürdig sind noch die Fragen von Kernbereichen und Wahlpflichtmodulen in einer allgemeinen Gliederung von Lehrberufen nach Berufsfeldern, zeitlicher und inhhaltlicher Differenzierungen je nach Lerntempo der Jugendlichen und Möglichkeiten der Lehrbetriebe(Spezialisierung, zwischenbetriebliche Ergänzungen), aber auch die Frage der Entscheidung über eine Modulauswahl.

7.1.2 Tiroler AK-Studie 2004: Berufsverbleib von Lehrlingen    

Von besonderer Aktualität für die duale Ausbildung ist die Tiroler AK-Studie 2004 ""Berufsverbleib von Lehrlingen" des Innsbrucker SOFFI-Instituts(Soziales Förderungs- und Forschungsinstitut), die Berufsbiographien der Tiroler AbsolventenInnen? einer Lehrlingsausbildung untersuchte. Dabei wurden zwei Vergleichsgruppen - je nach Lehrabschluss vor fünf oder zehn Jahren - gebildet und verglichen. Neben einer Analyse sämtlicher relevanter Daten der Gebietskrankenkasse wurden 1 000 telefonische Interviews sowie weitere 35 persönliche Vertiefungsinterviews geführt. Die Zusammenführung des Zahlenmaterials mit den Angaben und Erfahrungen der Auskunftspersonen verschafft einen klaren Überblick, wie "Karriere mit Lehre" erlebt wird. Gerade die duale Ausbildung erhebt den Anspruch auf eine bedarfgerechte Ausbildung. Die hier vorgestellten Daten vermitteln für die aktuelle Lehrlingsdiskussion interessante Erkenntnisse.

So ist die Zahl der Berufswechsler innerhalb der Lehrzeit bei ehemaligen Lehrlingen, die vor zehn Jahren ihre Lehre beendet hatten, nur noch neun Prozent. Beim Abgangsjahrgang fünf Jahre später waren es bereits 15 Prozent. Als Motiv geben 34 Prozent andere Vorstellungen vom Lehrberuf an, 25 Prozent hatten Schwierigkeiten mit Vorgesetzten(besonders Tourismus und Bau). Weitere Gründe waren die berufliche Erstentscheidung, so das Fehlen konstanter Bezugspersonen, einseitige produktive Beschäftigung anstelle von Ausbildung und das Ausmaß der verlangten Arbeitsleistung(besonders im saisonalen Bereich).

Das bedeutet, dass die scheinbare Kontinuität innerhalb der dualen Lehrlingserstausbildung eine Fiktion darstellt. Die viel besprochene und geforderte Mobilität und Flexibilität am Arbeitsmarkt greift bereits in die Ausbildungsverhältnisse zumeist minderjähriger Jugendlicher in der Lehre mit erheblichem Anpassungsdruck.

Keineswegs wird die Berufswahl der ehemaligen Lehrlinge als bewusste, reflektierte und seriöse Entscheidung dargestellt. 30 Prozent geben an, dass sie die Berufswahl überfordert hat. 31 Prozent meinen, dass sie sich ausführlicher informieren hätten sollen. 42 Prozent sind der Ansicht, dass sie zum damaligen Zeitpunkt noch nicht soweit waren, sich konkret für einen Beruf zu entscheiden.

Überraschend war das Ergebnis des Einflusses der Eltern auf die Berufswahlentscheidung. Eltern sind mit Abstand hier die schwächste Komponente, offensichtlich halten sie sich laut Studie zunehmend aus dem Berufswahlprozess heraus bzw. lassen ihre Kinder mit dieser schwierigen Frage auch allein. Die angeführte Überforderung der Jugendlichen scheint auch bei ihren Eltern vorzuliegen. Der Einfluss der Eltern reduziert sich auf die Vorgabe, irgendeinen Beruf abzuschließen.

Besondere Bedeutung hat auch das regionale Lehrstellenangebot. Durchschnittlich 39 Prozent der Ex-Lehrlinge mussten ihre Berufswünsche vor dem Hintergrund des lokalen Lehrstellenmarktes abändern bzw. adaptieren.

Nicht weniger als 41 Prozent der ehemaligen Lehrlinge würden sich heute für einen anderen Lehrberuf entscheiden. Signifikant höher ist dieser Anteil im Ballungsraum Innsbruck(48 Prozent), große Unzufriedenheit herrscht weiters bei Lehrabsolventen aus Handelsberufen sowie aus dem Bereich körperbezogener Dienstleistungen(etwa Friseure). Je selbstständiger - also ohne Elterneinfluss - die Berufswahl getroffen wurde, umso stabiler blieb sie auch.

Nur 41 Prozent der Lehrabgänger sind nach fünf bis zehn Jahren noch im gelernten Beruf tätig. Bei den Absolventen vor zehn Jahren liegt dieser Anteil bei 39 Prozent, bei jenen, die vor fünf Jahren die Lehre abgeschlossen haben, bei 44 Prozent. Überdurchschnittlich ist der Verbleib in den Bereichen Maschinen/Kfz(49 Prozent) und Büro(47 Prozent), unterdurchschnittlich im Handel(35 Prozent), Tourismus(35 Prozent)und bei körperbezogenen Dienstleistungen(33 Prozent). Entscheidend ist auch die Betriebsgröße: Lehrabsolventen aus Großbetrieben sind nach fünf bzw. zehn Jahren noch mehrheitlich im gelernten Beruf tätig(56 Prozent). Absolventen aus Kleinbetrieben nur zu 36 Prozent.

Kaum überraschend sind die Auswirkungen der biographischen Entwicklung auf den Berufsverbleib bei Frauen: Nach fünf Jahren sind 39 Prozent der Frauen noch im gelernten Beruf, nach zehn Jahren nur mehr 28 Prozent. Die Gründe sind in der Regel die Familienphase - etwa die Babypause - mit beachtlichen Auswirkungen auf die berufliche Kontinuität.

Erfahrungen in Lehrbetrieben und Berufsschulen werden von den Absolventen durchwegs im Rückblick positiv gezeichnet. 61 Prozent geben immerhin der Zeit im Lehrbetrieb die Note 1 oder 2. 13 Prozent - bei Frauen 17 und Männern 8 Prozent - vergeben die Noten 4 und 5. Obwohl im Einzelnen viele Lehrlinge Belastungen und Ungereimtheiten während der Lehrzeit in das Treffen führen, wird die Zeit der Berufsausbildung rückblickend überwiegend als wichtige und identitätsbildende Erfahrung dargestellt.

Die Brauchbarkeit des in der Lehre erworbenen Wissens korreliert naturgemäß mit der jetzigen beruflichen Tätigkeit. Über 90 Prozent der noch im gelernten Beruf Tätigen können das Erlente wenigstens teilweise verwenden. Der Wert sinkt bei den Berufswechslern auf 55 Prozent.

Die duale Lehrlingsausbildung wird in der Studie als Vorbereitung auf die Berufswelt grundsätzlich als geeignet angesehen, wobei allerdings die eindimensionale Festlegung auf eine genau bestimmte Berufsbiographie im Vordergrund steht. Wünschenswert wäre, so die AK Tirol, dass die berufliche Ersterfahrung in der Lehrzeit dem von einer steigenden Zahl der Absolventen zu gewärtigenden Berufswechsel Rechnung trägt.

Abschließend zieht die Studie fünf Folgerungen:

7.2 Umwelterziehung    

In auffallend positivem Ausmaß wächst das Bewusstsein Heranwachsender, sich für die Erhaltung der Umwelt einzusetzen. Ohne Zweifel sind die Leitfächer Sachunterricht(Grundschule) und Biologie und Umweltkunde(Sekundarstufe I und II) in der pädagogischen Verantwortung. Damit ist dieser Teilbereich in der vorberuflichen Bildung - als Umwelterziehung definiert - angesprochen.

Das Zusammenwirken ökologischer Systeme und ihre Abhängigkeiten bedeuten, dass die Zerstörung des einen eine katastrophale Folgewirkung für alles andere hat. Daraus ergeben sich zwei Bereiche eines Engagements für den Umweltschutz:

Umweltschädigendes Verhalten ist verantwortungsloses Handeln an der Gesellschaft, da alle die Konsequenzen tragen. Damit ist Umwelterziehung i.w.S. auch politische Erziehung/Bildung?(vgl. DICHATSCHEK/GADERER-WITERNA/GUMPELMAIR/STOCKHAMMER 1991, 198-199).

Schulische Berufsorientierung vermittelt im Unterricht zukünftige Arbeitsbereiche mit Sicherheitsvorkehrungen, gesundheits- und umweltschädigenden Stoffen und Verhaltensweisen, Gefahren in der Arbeits- und Berufswelt und damit ein Bewusstsein für die Bedeutung der Vermeidung bzw. Verringerung von verschiedensten Belastungen und eines persönlichen Engagements für Verbesserungen der Gesundheit und der Umwelt. Alternatives Denken und Handeln erscheint in diesem Zusammenhang wichtig.

Im Berufsleben zeigen sich Phänomene, die das Spannungsverhältnis Ökologie vs. Ökonomie für den Einzelnen persönlich aufzeigen - Lohnzuschläge bei gesundheitsgefährdenden Arbeiten/Staub, Lärm und Hitze. Schule wird vom persönlichen Erlebnisbereich der Schüler ausgehen und entsprechendes Handeln in einem Erziehungsprozess einfordern: Trennung von Müll, Altkleidersammlung; Aspekterkundungen in Betrieben und menschengerechte Arbeitsplatzgestaltung sind aktuelle Themenbereiche(vgl. STEYERER -BRAUN 1985).

Selbstverständlich werden auch wirtschaftskundliche/makroökonomische Aspekte zur Diskussion stehen, denn der internationale Transitverkehr im alpinen Raum ist für weite Bereiche der Verkehrs-, Handels- und Tourismusberufe sowie der Zulieferwirtschaft in technischen Wirtschaftszweigen ein wesentlicher Faktor. Seilbahnwirtschaft vs. Landwirtschaft hat regionale Bedeutung und damit für viele persönliche Konsequenzen. Fächerübergreifende Kooperationen - Projekte, Kurse, Rahmenthemen - können sich Themenbereichen nähern, die aktuellen Bezug zum Alltag und Arbeits- und Berufsleben haben: Klima der Erde, Kontinuität und Veränderung des Lebens - Gentechnik, Licht und Farbe im Alltag sowie Medizin und naturwissenschaftlicher Fortschritt(vgl. SCHUDY 2002, 282).

Ökologisches Denken, Wissen und Handeln sind für den Einzelnen und die Gesellschaft von größter Bedeutung und machen damit pädagogisches Handeln erforderlich.

7.3 Politische Bildung    

Ohne die Aneignung bestimmter Qualifikationen und Orientierungen können humane und demokratische Ordnungen weder geschaffen noch im Interesse der Mehrheit weiterentwickelt werden, auch nicht im Bereich gesellschaftlicher Arbei und beruflicher Tätigkeiten.


Hierfür sollten neben technischen, organisatorischen, wirtschaftlichen und sozialen Qualifikationen sowie Kritikvermögen und Phantasie vor allem arbeitsrechtliche, arbeitswissenschaftliche und sozioökonomische Kenntnisse in Verbindung mit der Bereitschaft und Fähigkeit zu selbstständigem beruflichen und solidarischem politischen Handeln und Lernen erworben werden.

Vorberufliche Bildung/Erziehung eignet sich besonders dazu, Heranwachsenden gesamtgesellschaftliche Vorgänge und Zusammenhänge, Interessenskonflikte, deren Bewältigungsversuche und mögliche Auswirkungen für gesellschaftliche Gruppierungen darzulegen und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und so an einer Erziehung zu politisch denkenden und handelnden Menschen mitzuwirken. Vorberufliche Bildung - und damit schulische "Berufsorientierung" - analysiert Berufe, Berufsbilder, Ausbildungen, setzt sich mit persönlichen Neigungen und der Eignung auseinander und führt letztlich zu einer Umsetzung des Gelernten, also zu einer Handlungskompetenz(Berufswahl-).

Anleitungen zu aktivem Verhalten stehen im Vordergrund pädagogischer Bemühungen der Politischen Bildung/Erziehung. Dies bedeutet für den Fachbereich "Vorberufliche Bildung", keine negativen Situationen einfach hinzunehmen, sondern vielmehr Interesse und Wille zum persönlichen Einsatz für positive Veränderungen in der Arbeits- und Berufswelt zu zeigen.

In drei wesentlichen Bereichen gilt es, Heranwachsende zu begleiten:

7.3.1 Heranwachsende in ihrer persönlichen Berufsentscheidung    

Emanzipatorische Erziehung in der vorberuflichen Bildung bedeutet die Verringerung unfreiwilliger Abhängigkeiten, die Erweiterung ihrer Chancen und Fähigkeiten und die Kenntnis gesellschaftlicher Steuerungsmechanismen. Zur weiteren Demokratisierung der Gesellschaft bedarf es mündiger Bürger mit zunehmenden Qualifikationen.

In der anzustrebenden Persönlichkeitserziehung im Fachbereich "Vorberufliche Bildung" ergeben sich pädagogische Bereiche zur Selbstfindung, die in Form persönlicher Begabungen, Neigungen, Eignungen, Wünsche, Bedürfnisse und Schwächen Arbeitsfelder emanzipatorischer Erziehung sind.

Zwei Fragestellungen sollen die Thematik der persönlichen Berufsentscheidung näher beleuchten.

(1) Welche Interessen und Beeinflussungen stecken hinter den Wünschen von Mädchen, die bewirken, dass diese Gruppe seit Jahren ihre beruflich Laufbahn in einem hohen Ausmaß in der dualen Ausbildung auf fünf Berufe ausrichten? (

(2) Wer oder was bewirkt die Vorstellung von Mädchen über die eigene Berufstätigkeit, die immer noch nur als Überbrückung zur Familiengründung gesehen und entsprechend vernachlässigt wird, wenn fast 50 Prozent der Berufstätigen Frauen sind?

Die Befähigung zum Erkennen sozialer Zuordnungen und Manipulationen, ihren Bedeutungen und Auswirkungen für die Jugendlichen derzeit und im späteren Berufs- und Privatleben sollte ein weiteres Ziel politischer Bildung in der vorberuflichen Bildung/Erziehung sein(vgl. DICHATSCHEK/GADERER-WITERNA/GUMPELMAIR/STOCKHAMMER 1991, 194).

7.3.2 Heranwachsende als Auszubildende und Arbeitnehmer    

Vorrangig ist hier die unmittelbare Zukunft Jugendlicher gemeint, wobei nicht auszuschließen ist, dass eine spätere berufliche Laufbahn als Selbstständige weitergeführt wird. Vorerst wird man jedoch von einem abhängigen Ausbildungs- und Arbeitsverhältnis ausgehen.

Ausgehend von der Interessenslage wird man bei rechtlichen Rahmenbedingungen der Ausbildung und Beschäftigung anknüpfen. Vor- und Nachteile - man denke an die duale Ausbildung, die Berufsausbildung in mittleren und höheren berufsbildenden Schulen sowie bestimmter beispielhafter Studiengänge an Universitäten/Fachhochschulen - sind aufzuzeigen, ihre Bedeutung und Beziehung zueinander abzuwägen. Weitere Aspekte sind Strategien zur Wahrung und Durchsetzung persönlicher und gesellschaftlicher Interessen und Rechte, die Hilfestellung von Beratungsinstitutionen und eine Analyse der Funktion von Kammern und Gewerkschaftsbund/Sozial- bzw. Bildungspartnerschaft.

Damit wird in Übereinstimmung mit dem geltenden Erlass zur Politischen Bildung in Schulen die Überzeugung geweckt, dass Demokratie sich nicht im einem unbeteiligten Einhalten ihrer Spielregeln erschöpft, sondern ein hohes Maß an Engagement erfordert. Mitbestimmung und Mitverantwortung gehören zu einer verantwortungsvollen demokratischen Gesellschaft.

7.3.3 Heranwachsende in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung    

Schule ist der Ort, in der Kinder und Jugendliche gemeinschaftliche Verantwortung kennenlernen. Diese Verantwortung später selbst leben zu können, persönliches Wissen, Können und Engagement zur Verfügung zu stellen, am Schicksal anderer interessiert zu sein und sich für das eigene und der anderen Weiterkommen einzusetzen, bedingt eine prozesshafte soziale, politische und vorberufliche Bildung/Erziehung(soziales Lernen-politischer Unterricht-Berufsorientierung).

Das moderne Methodenrepertoire - etwa Partner-, Gruppenarbeit; offenes Lernen; Projektarbeit, Planspiel; Erkundungen, berufspraktische Tage/Wochen - zeigt auf, dass Lösungen bei einer Zusammenlegung von Wissen und Können schneller gefunden werden können und Kooperationsformen verbinden. Netzwerkarbeit mit neuen Technologien verschafft neue Erfahrungen und neues Wissen.

Im Rahmen vorberuflicher Bildung/Erziehung geht es auch um die Übernahme von sozialer Verantwortung. Gemeinsames Arbeiten in Kooperationsmodellen im Unterricht, bei Projekten und im Alltag helfen Erfahrungen damit zu sammeln. Soziales Lernen ist in einem hohen Ausmaß Erfahrungslernen. Daneben bedarf es in diesen Lernprozessen auch der Hilfestellung bei der Bewältigung von Problemen und Entscheidungen: Informationsweitergabe, Übung von Aufnahme- und Bewerbungsgesprächen, gemeinsame Überlegungen von Vor- und Nachteilen von Ausbildungsgängen und Entwickeln von tolerantem Verhalten bei anderen Meinungen und Vorstellungen sind Beispiele verantwortungsvollen Handelns in einer sozialen Gruppe(Gemeinschaft).

Einbinden bei Entscheidungen, die den Unterricht betreffen - Auswahl der Betriebe bei Erkundungen und berufspraktischen Tagen, Projektplanung und Gestaltung der Themenplanung - können als Mittel zur Entscheidungsfindung ebenso eingesetzt werden. Im Rahmen von Planspielen können unterschiedliche Interessenslagen beispielhaft durchgespielt werden.

Das Themenangebot im politischen Unterricht zeigt eine Breite, die im Unterricht und den Realbegegnungen hier nur exemplarisch angesprochen werden kann. Pädagogischem Ideenreichtum sind keine Grenzen in diesem Fachbereich gesetzt.

8 Zusammenfassung - Reflexion    

Die Schul- bzw. Berufswahl ist ein Lernprozess, der hauptsächlich in die Lebensperiode der Entwicklung und des Heranwachsens fällt und von allen Jugendlichen in mehr oder weniger ausgeprägter Form durchlaufen wird.

Hierbei kommt den verschiedensten sozialen Handlungsfeldern vorberuflicher Bildung/Erziehung eine besondere Bedeutung zu.

Literaturhinweise Teil II    

Angeführt sind diejenigen Titel, die für den Beitrag verwendet und/oder direkt zitiert werden.


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VO/SE im Rahmen der Lehrveranstaltung "Vorberufliche Bildung" am Institut für Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft der Universität Wien(1990-2011).

Internethinweise/Auswahl    

Die IT-Beiträge verstehen sich als Ergänzung zum Beitrag.


Netzwerk gegen Gewalt > http://netzwerkgegengewalt.org > Index:

Europa als Lernfeld

Lernfeld Politik

Interkulturelle Kompetenz

Vielfalt ja bitte-Welcome Diversity

Migration in Österreich, Teil 1 und 2

Lehrgang Politische Bildung in der Erwachsenenbildung

Vorberufliche Bildung

Schule

Erziehung

Netzbasiertes Lernen in Theorie und Praxis

Medienarbeit


Schulwiki: Bildungsreform > http://www.schulwiki.org/wiki.cgi?BILDUNGSREFORM

Netzwerke des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur/bm:bwk:


AK Tirol:


Migrantenberatung:


Der Beitrag wird laufend aktualisiert.


Zum Autor

Lehrbeauftragter am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Wien/ Berufspädagogik - Vorberufliche Bildung(1990-2011), ausgebildeter Schüler- und Schulentwicklungsberater, Gründungsteilnehmer der LehrerInnen-Plattform für Politische Bildung und Menschenrechtsbildung des bm:bwk.(2004)

Absolvent des Instituts für Erziehungswissenschaft/Universität Innsbruck/Doktorat(1985), des 10. Universitätslehrganges Politische Bildung/Uiniversität Salzburg-Klagenfurt/Master(2008), des 7. Universitätslehrganges Interkulturelle Kompetenz/Universität Salzburg/Diplom(2012), des 6. Lehrganges Interkulturelles Konfliktmanagement/BM.I.-Intergrationsfonds Österreich(2010) und der Weiterbildungsakademie Österreich/Diplome(2010)


MAIL dichatschek (AT) kitz.net


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gedruckt am: 26. April 2024